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Die SOB-Flotte ist komplettiert

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Die SOB hat insbesondere für die Fernverkehrslinie Alpenrhein-Express sechs weitere kupferfarbene Traverso- und drei silberne Flirt-Fahrzeuge beschafft. Nun ist die Flotte komplett und besteht aus 13 Flirt 3 und 30 Traverso. Über einen Zeitraum von sechs Jahren hat Stadler die 43 in Bussnang TG produzierten Traverso und Flirt 3-Züge an die Südostbahn ausgeliefert. Thomas Schäfer, Leiter Projektmanagement & Beschaffung Rollmaterial bei der SOB, äussert sich in einem Interview über die Rollmaterialbeschaffung der vierten Serie:

Wie läuft die Übergabe eines neuen Fahrzeugs seitens SOB konkret ab? Welche Prüfungen müssen vor der offiziellen Übernahme abgeschlossen sein?

Bis ein Zug seine definitive Form gefunden hat, dauert es zirka 20 Monate, beginnend mit der Bestellung der Aluminiumprofile für den Wagenkasten seitens Stadler, anschliessender Vorfertigung des Aluminium-Wagenkastens über die Bestellung von anderen Bauteilen, wie Transformatoren, bis hin zur Abnahme durch die SOB.

Während der Inbetriebsetzung wird ein Fahrzeug während zirka sechs bis acht Wochen durch Stadler geprüft. Darauf folgt eine statische und dynamische Übernahmeprüfung, für die SOB- und Stadler-Teams während mehreren Tagen gemeinsam unterwegs sind. Die statische Prüfung findet bei Stadler im Werk statt. Das SOB-Team arbeitet mit umfangreichen Checklisten, aber nicht nur: Offene Augen und Ohren sowie viel Erfahrung sind unersetzlich. Dabei prüfen SOB-Mitarbeitende vor Ort hauptsächlich die Fertigung und die Ausführungsqualität. Ziel der statischen Abnahmen im Werk ist, die sicherheitsorientierten Funktionen zu überprüfen und das Fahrzeug für die dynamische Übernahmeprüfung freizugeben. Während der dynamischen Prüfung sammelt das Fahrzeug erste Kilometer. Die Teams prüfen das Fahrzeug auf Herz und Nieren. Nach einer erfolgreichen Übernahme folgt eine 30-tägige Betriebserprobung bis zur definitiven Abnahme.

Wie unterscheidet sich die vierte Serie von den vorherigen?

In der vierten Serie wurden Verbesserungen umgesetzt, um den Komfort und die Wartungsfreundlichkeit zu erhöhen. Probleme mit den Schiebetritten, die durch Kieselsteine in den Rillen verursacht wurden, konnten durch eine optimierte Sensorik und eine angepasste Software reduziert werden. Die Kupplung wurde ebenfalls überarbeitet. Eine neue Fangbereichserweiterung ermöglicht nun auch in Kurven ein zuverlässiges Kuppeln; die bestehende Flotte wird entsprechend nachgerüstet. Auf Anregung von SOB-Mitarbeitenden wurden auch im Innenraum praktische Anpassungen vorgenommen: Ein neuer Bodenbelag und Abdeckungen bei den Klappsitzen erleichtern die Reinigung, und wichtige Komponenten wie der Erdungstrenner sind besser zugänglich, was die Instandhaltung vereinfacht. Für Fahrgäste spürbar ist vor allem die verbesserte Abdichtung der Führerstandstür, die für eine ruhigere Fahrt in Tunneln sorgt.

Was war bei der letzten Auslieferung besonders erfreulich – oder besonders herausfordernd?

Die Auslieferung der Fahrzeuge der vierten Serie verlief insgesamt sehr pünktlich. Lediglich bei dem ersten Fahrzeug gab es noch Software-Probleme, die gelöst werden mussten. Die übrigen Fahrzeuge konnten wir innerhalb einer Woche übernehmen – das war äusserst erfreulich und eine bemerkenswerte Leistung. Der Verdienst dafür gebührt in erster Linie Stadler.

Wie eng ist die Zusammenarbeit mit dem Hersteller in dieser letzten Projektphase?

Die Zusammenarbeit mit dem Hersteller ist nach wie vor eng und intensiv. Das gilt nicht nur für die vierte Serie – Verbesserungen wurden während des gesamten Projekts fortlaufend gemeinsam identifiziert, aufgearbeitet und auf die gesamte Flotte ausgerollt. In der vierten Serie konnten viele dieser Optimierungen bereits berücksichtigt werden.

Während die Fahrzeuge der ersten bis dritten Serie inzwischen aus der regulären Garantiezeit herausgefallen sind, befindet sich die vierte Serie für die nächsten drei Jahre noch in der Garantie.

Die SOB unterzeichnete den Vertrag mit Stadler bereits im Jahr 2016, um neues Rollmaterial für den Ersatz des Voralpen-Express zu beschaffen – das verdeutlicht die zeitliche Dimension dieses Projekts. Doch nicht nur der zeitliche Rahmen war anspruchsvoll, auch die Tragweite einer solchen Rollmaterialbeschaffung ist enorm: Ein Scheitern ist in einem Projekt dieser Grössenordnung keine Option. Grössere Verzögerungen, Probleme bei der Zulassung oder Qualitätsmängel wären für die SOB gravierend gewesen.

Die erfolgreiche Umsetzung dieses Projekts war nur durch den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten möglich – und zeigt, was durch enge Zusammenarbeit und gemeinsame Zielstrebigkeit erreicht werden kann.

Welche Rolle spielt das Flottenmanagement beim Testen und Einführen technischer Neuerungen? Welche weiteren Stellen sind involviert?

Bei solchen Projekten laufen bei uns alle technischen Themen zusammen. Wir erhalten Inputs aus dem Betrieb, vom Lokpersonal sowie aus der Instandhaltung. Wir prüfen, welche Themen relevant sind und eingebracht werden sollen, und geben diese an die Industrie weiter, die dann nach Lösungen sucht.

Obwohl die Fahrzeuge baugleich sind, ergeben sich immer wieder Möglichkeiten zur Optimierung. Das liegt an der hohen Komplexität der Systeme: Ein Zug vereint zahlreiche Komponenten aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Elektronik, Mechanik, Pneumatik oder Software.

Welches sind die entscheidenden Punkte, damit ein neues Fahrzeug wirklich «bereit für den Betrieb» ist?

Dazu gehört zunächst die vollständige Bereitstellung aller Inbetriebsetzungsdokumente, die vom Hersteller Stadler erfüllt werden müssen. Auf Seiten der SOB sind zudem mehrere sicherheitsrelevante Prüfungen erforderlich – darunter die technisch-betrieblichen Sicherheitsprüfungen (TBS) sowie der Sicherheitsnachweis für ETCS (Zugsicherungssystem), die sogenannte SIOP-B-Prüfung.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil ist die Betriebserprobung: Innerhalb eines definierten Zeitfensters von 30 Tagen muss das Fahrzeug an mindestens zehn aufeinanderfolgenden Betriebstagen bestimmte Anforderungen zuverlässig erfüllen. Erst wenn all diese Kriterien erfüllt sind, gilt ein Fahrzeug als betriebsbereit und kann in den planmässigen Verkehr übergehen.

Wie werden Lokführer/-innen und das Unterhaltspersonal auf neue Fahrzeuge vorbereitet?

Da die Software auf allen Einheiten identisch ist, ergeben sich für das Lokpersonal keine Unterschiede im täglichen Betrieb. Eine gesonderte Schulung ist deshalb nicht erforderlich.

Für das Unterhaltspersonal liegt der Fokus bei der Inbetriebnahme auf der Vorbereitung und Befüllung aller betrieblich relevanten Systeme. Dazu gehört die Kontrolle und das Nachfüllen von Betriebsstoffen wie Spurkranzfett, Schmiermittel und Scheibenwischflüssigkeit. Darüber hinaus wird sämtliches Inventar ergänzt: Das Bistro wird vollständig ausgestattet, die WC-Anlagen mit Frischwasser befüllt und die Bioreaktoren mit den notwendigen Bakterienstämmen versorgt. So wird sichergestellt, dass das Fahrzeug nicht nur technisch, sondern auch betrieblich und ausstattungstechnisch vollständig einsatzbereit ist.

Wie stellt die SOB sicher, dass ein neues Fahrzeug langfristig zuverlässig funktioniert?

Bereits kurz nach der Inbetriebnahme werden gezielte Massnahmen ergriffen, um die langfristige Zuverlässigkeit sicherzustellen. Dazu gehören einmalige Instandhaltungstätigkeiten, die bei neuen Systemen durchgeführt werden müssen. Beispiele sind das Justieren der Türen, da sich die Gummidichtungen bei neuen Fahrzeugen noch setzen können, oder das Wechseln des Getriebeöls nach etwa einem Monat Betriebszeit, da sich hier noch Rückstände aus der Produktion wie Späne im Öl sammeln können.

Gibt es Auswirkungen auf den Regelbetrieb oder auf andere Abteilungen, jetzt wo die Flotte komplett ist?

Zentral war natürlich die pünktliche Inbetriebnahme unserer dritten Fernverkehrslinie, des Alpenrhein-Express. Doch auch im laufenden Betrieb bleiben die Herausforderungen hoch: Sämtliche Fahrzeuge sind fest in den Betrieb eingeplant – es stehen nur begrenzte Reserven zur Verfügung. Gleichzeitig müssen alle Züge kontinuierlich auf dem gleichen technischen Stand gehalten werden, was eine hohe Koordination erfordert.

Hinzu kommen infrastrukturelle Engpässe: Das Service-Zentrum in Samstagern wird derzeit umgebaut, am Bahnhof Herisau finden ebenfalls Bauarbeiten statt, und Depotgleise sind knapp. Diese Rahmenbedingungen stellen besonders für die Instandhaltung und Einsatzplanung eine grosse Herausforderung dar.

All das erfordert ein präzises Zusammenspiel über Abteilungsgrenzen hinweg – von der Disposition über die Instandhaltung bis hin zur Betriebsleitung. Nur durch enge Abstimmung und vorausschauende Planung kann der reibungslose Betrieb trotz dieser Rahmenbedingungen sichergestellt werden.

Nun ist die Beschaffung der vierten Serie abgeschlossen. Wie geht es weiter?

Unser Fokus liegt nun darauf, die Zuverlässigkeit der gesamten Flotte kontinuierlich weiter zu verbessern – sei es bei der Software oder bei konkreten technischen Aspekten wie die Abdichtung der Frontkupplung. Zudem stehen noch Garantiearbeiten an, die uns in den kommenden Monaten begleiten werden. Kurz gesagt: Wir bleiben auch nach Abschluss der Beschaffung intensiv mit der Betreuung der Fahrzeuge engagiert.

Parallel dazu arbeiten wir bereits an der Ausschreibung für das Refit der Flirt-2-Fahrzeuge, um auch diese weiterzuentwickeln und für die zweite Lebenshälfte fit zu machen.

Die Komplettierung dieser Flotte zeigt deutlich, über welch langen Zeitraum sich solche Projekte erstrecken – und wie eng dabei sämtliche beteiligten Stellen miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind. Um die nächsten Schritte der SOB möglich zu machen, beschäftigen wir uns bereits heute mit diversen Vorarbeiten und einem umfassenden Stakeholdermanagement.

Text: Ramona Schwarzmann
Bilder: Stadler und SOB

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