Die Flotte der Südostbahn bekommt Zuwachs: Die SOB beschafft insbesondere für die neue Fernverkehrslinie Alpenrhein Express sechs weitere kupferfarbene Traverso- und drei silberne FLIRT-Fahrzeuge. Wie ein Zug gebaut wird, zeigt ein Einblick in die Produktion von Stadler in Bussnang.
In den Montagehallen bei Stadler herrscht emsiges Treiben. Eng gereiht füllen Wagen an Wagen die grossen Hallen. Darin arbeiten unterschiedliche Teams von Stadler am Ausbau. Die Geräuschkulisse lässt die Vielfalt der Arbeiten erahnen. Und mitten in dieser regsamen Halle ist die Stimmung ganz friedlich und ruhig. All die Arbeiten werden ohne Hektik und bedacht verrichtet. Alle wissen, was sie zu tun haben. Hier sind an manchen Tagen auch Mitarbeitende der SOB zu sehen: In regelmässigen Abständen sind Fachleute der Südostbahn aus den Abteilungen Flottenmanagement, Diagnostik und Instandhaltung in Bussnang bei Stadler. Sie sind vor Ort im Sinne einer produktionsbegleitenden Qualitätssicherung. Diese erfordert Aufwand während des Baus der Züge, verhindert aber Pannen zu einem späteren Zeitpunkt.
Vertragsgrundlage der 4. Serie
Die SOB unterschrieb im Jahr 2016 den Vertrag mit Stadler und bestellte neues Rollmaterial, um die Züge des Voralpen-Express zu ersetzen. Aus diesem Vertrag löste die SOB für die weiteren Bestellungen ihre Optionen für ein Nachbestellrecht ein und beschaffte in den Jahren 2020 und 2021 weiteres Rollmaterial für die Linien Treno Gottardo und Aare Linth. Eine weitere Ausschreibung für das Rollmaterial der vierten Serie für den Alpenrhein-Express erübrigte sich auch dank den bestehenden Optionen.
Auf die Details kommt es an
In der Ausbauphase ist der Zug noch unverhüllt und die Details sind für die Fachleute gut sichtbar und zugänglich. Die Teams der SOB kennen das Rollmaterial genau und wissen, welchen Bauteilen und Bereichen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Denn im Jahr 2019 ersetzte die Südostbahn die Fahrzeuge des Voralpen-Express mit neuem Rollmaterial von Stadler. Darauf folgten Bestellungen für den Fernverkehr: Der Treno Gottardo ist mittlerweile seit 2020 in Betrieb und Aare Linth seit 2021.
Nennt man die Kinderkrankheiten beim Namen, waren die Störungsverursacher oft die Schiebetritte, weil Kieselsteine in die Rillen gelangten und so der Tritt nicht mehr einfahren konnte. Nun wurde die Sensorik verbessert und die Software angepasst, um die Kieselsteine wieder auszuwerfen. Die Kupplung wurde überarbeitet, ist jedoch von der mechanischen und elektrischen Schnittstelle identisch. Es wurde eine sogenannte Fangbereichserweiterung konstruiert, die auch auf der bestehenden Flotte ausgerollt wird. Das hat den Vorteil, auch in der Kurve zuverlässig kuppeln zu können.
Auch Optimierungsvorschläge von und für die SOB-Mitarbeitenden sind in die vierte Serie eingeflossen: In der neuen Serie sind ein anderer Bodenbelag und Abdeckungen bei Klappsitzen eingebaut, was die Reinigung erleichtert. Zudem sind gewisse Geräte, beispielsweise der Erdungstrenner, besser zugänglich, um die Instandhaltungsarbeiten zu erleichtern. Das können aufmerksame Passagiere beispielsweise an der Einteilung der Deckenelemente erkennen. Was den Kunden im Zug allerdings deutlicher auffallen könnte, ist die verbesserte Abdichtung der Führerstandstür, damit die Fahrt durch enge Tunnel ruhiger wird.
Die Arbeitsschritte bei Stadler in Bussnang
Bis der Zug seine definitive Form gefunden hat, dauert es zirka 20 Monate, beginnend mit der Bestellung der Langläuferteile, das sind Aluminiumprofile für den Wagenkasten, und anschliessender Vorfertigung des Aluminium- Wagenkastens über die Bestellung von anderen Bauteilen wie Transformatoren bis hin zur Abnahme durch die SOB. Die Fertigstellung des ersten Traverso erfolgte im April 2024 und das letzte Fahrzeug liefert Stadler im Frühling 2025 aus.
Der Kastenbau: angefangen mit dem Aluminium
Das Rollmaterial der ersten Serie für den Voralpen-Express der SOB war der erste FLIRT der dritten Generation von Stadler. Seit der Bestellung im Jahr 2016 hat sich die Konstruktion der FLIRT-Fahrzeuge weiterentwickelt. Die Optimierungen in der Konstruktion ermöglichen ein noch effizienteres Arbeiten in der Produktion.
Die Roh-Wagenkasten wurden von den Experten von Stadler im Bereich Engineering konstruiert und berechnet. Hier dreht sich alles um Stabilität, Gewicht, die Anbringung von Anbauteilen sowie deren Krafteinleitung in den Kasten. Das geringe Gewicht des Aluminiums erleichtert nicht nur die Arbeit während der Produktion, sondern führt auch zu einem niedrigeren Energieverbrauch, wenn der Zug auf den Schienen verkehrt. Die Roh-Wagenkasten werden in «Integral-Bauweise» aus Strangpressprofilen hergestellt. Ebene Oberflächen können robotergeschweisst werden, insbesondere die Seitenwände. Die Endverschweissung des Wagenkastens geschieht manuell, weil der Schweisskopf nicht ins Wageninnere gelangt. Zirka sechs Wochen dauern die Schweissarbeiten für vier Wagenkasten.
Lackierung: Hochglanz mit Kupfer-Klarlack
Die Wagenkasten werden vom Kastenbau zur Sandstrahlerei via Kran verschoben. Der Wagenkasten wird sandgestrahlt, um die Oberfläche aufzurauen, Unebenheiten zu beseitigen und damit die Haftung des Lacks zu gewährleisten. Nach dem Sandstrahlen bekommt der Wagenkasten eine komplette Grundierschicht. Diese schützt das Aluminium vor Korrosion. Kleinere Unebenheiten werden mit Spachtelmasse ausgeglichen. Feine Poren oder Schleifrillen werden mit Füller beseitigt. Im Nachgang erhält der Wagenkasten seine Farbgebung durch das Aufbringen von Basislack und Klarlack.
Ein kurzer Einblick in die Lackiererei:
Montage: viel von Menschenhand
Nach der Lackierung gelangen die Wagenkasten in die Montage. Hier vereinen sich Innenausbau, Mechanik und Elektrik. Acht Wagenkasten ergeben einen ganzen Traverso. Diese befinden sich in unterschiedlichen Stadien des Ausbaus. Die Teams aus den drei Bereichen «füllen» die Wagenkasten. Im Innenausbau arbeiten die Stadler-Fachleute mit Bohrschablonen, um Anbauten, Elektroteile und Aufhängungen richtig zu positionieren. Bedingt durch die Leichtbauweise bohren die Fachleute rund 2 500 Löcher pro Wagenkasten von Hand, also insgesamt 20 000 Bohrungen pro Traverso. Wichtig ist auch, dass die Züge durchgängig isoliert sind und so kein Kondenswasser bei Temperaturschwankungen entsteht. Elektriker verbauen Geräte für die zuginterne Kommunikation, Beleuchtungen, Heizungen, Anzeigen usw. Eine Stärke von Stadler ist das Zusammenbringen von Einzelteilen zu einem funktionierenden Ganzen, nicht nur mechanisch, sondern auch systemtechnisch und das in sehr kurzer Zeit.
Den Führerstand baut Stadler in Bussnang. Die einzelnen Komponenten, also die einzelnen Elektrobauteile, werden in der Vormontage zusammengebaut und schliesslich im Führerstand vereint. Elektrische und pneumatische Komponenten werden nach dem Vieraugenprinzip geprüft, sodass der Führerstand im Rahmen der Montage freigegeben ist. So wie den Wagenkasten fertigt Stadler auch das Fahrwerk selbst. Andere Komponenten treffen von Lieferanten hauptsächlich «just in time» ein. So zum Beispiel die Frontkabine, die aus dem Ausland kommt. Diese wird mit dem Kran an den Wagenkasten gehoben und angeklebt.
Verantwortung und Flexibilität ist gefragt
Eine zu späte Lieferung einer Schlüsselkomponente wirkt sich auf den ganzen Prozess aus und führt zu Verzögerungen. Wenn die Zeitpläne immer enger und die Lösungen immer dringlicher werden, ist Flexibilität in der Montage und auch in der anschliessenden Inbetriebsetzung bei Stadler gefragt. Teilweise unterstützt Stadler Lieferanten mit Know-how oder Manpower. Führt man sich die einzelnen Arbeitsschritte, die vielen Komponenten, die 2 000 Mitarbeitenden nur am Standort Bussnang – vor Augen, wird schnell klar, welche entscheidende Rolle die Logistik und Planung spielt.
Insgesamt zirka zehn Wochen sind die Wagenkasten in der Montage. Das Untersetzen der Drehgestelle gehört zu den letzten Arbeitsschritten in Bussnang. Stadler hat das Kompetenzzentrum für Normalspur-Drehgestelle in Winterthur, von dort stammen auch jene der Traverso- und FLIRT-Fahrzeuge. Die meisten Metallteile wie beispielsweise die Rahmen werden in Winterthur gefertigt. Radsätze, Gummi-Metall und Anbauteile werden durch Stadler spezifiziert und von Unterlieferanten hergestellt.
Wenn ein Halbzug bestehend aus vier Wagenkasten das Werk in Bussnang verlässt, sieht er ziemlich fertig aus, doch aus eigenem Antrieb fahren kann er noch nicht. Der Halbzug wird nach Erlen geschleppt, wo die Inbetriebsetzung stattfindet. Das heisst, er steht erst in Erlen zum ersten Mal unter Strom. Dazu sind weitere 14 bis 16 Wochen Arbeit notwendig.
Mehr zu den Arbeiten in Erlen und wie die Übernahmeprüfungen der SOB vonstattengehen, erfahren Sie unter: direkt.sob.ch/uebernahme
Text: Ramona Schwarzmann Fotos: Hanspeter Schenk, Philipp Menk, Ramona Schwarzmann
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