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Zugtoiletten – Wenn es still wird im stillen Örtchen

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Das frühere Plumpsklo bestand aus zwei Hauptbauteilen und hat ausgedient. Heute setzt die Bahnbranche auf Vakuumtoiletten in modernen Reisezügen. Das sind hochsensible Systeme, bestehend aus rund 25 Hauptbauteilen, die ab und zu ihren Dienst verweigern. Gründe dafür liegen aber nicht nur in der Technik – auch unsachgemässe Handhabung führt zu Störungen.

0,04. Eine scheinbar unbedeutende Zahl. 0,04 ist der Durchschnitt der Anzahl Störungen pro Toilette und Tag auf allen Fahrzeugen der Südostbahn, unabhängig vom Fahrzeugtyp. Bei 57 Zügen mit insgesamt 105 Toiletten sind dies 1385 Störungen pro Jahr. Hochgerechnet also eine gewichtige Zahl, zumal die WC in der Folge manchmal geschlossen werden müssen, was mit Einschränkungen für die Fahrgäste verbunden ist. Und die Behebung der Defekte führt zu grossem Aufwand im Service-Zentrum und zu Standzeiten der Fahrzeuge.

Aufschlussreiche Daten

Mehr Züge, mehr gefahrene Kilometer, mehr transportierte Fahrgäste. Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich, dass die Ursache für die grössere Anzahl Störungen der Bordtoiletten im Wachstum der Südostbahn liegt. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Tatsächlich sind es die Linien im Fernverkehr respektive die damit einhergehende häufigere Nutzung der Toiletten.

Während im S-Bahn-Verkehr ein Fahrgast durchschnittlich rund 19 Kilometer im Zug fährt, sind es im Fernverkehr zirka 45 Kilometer. Ein Traverso legt pro Tag bis zu 1200 Kilometer zurück und besitzt drei Toiletten, die durchschnittlich je 57-mal pro Tag gespült werden. Auf den im Regionalverkehr eingesetzten Flirt, die je eine Toilette haben, sind es 33 Spülungen. Daraus lässt sich ableiten, dass doppelte Anzahl gefahrene Kilometer rund doppelte Anzahl Nutzungen pro WC bedeutet. Diese Zahlen mögen absurd erscheinen, sind aber wichtig, denn mitunter aufgrund von solchen Erhebungen werden Züge konzipiert.

Sensible Komponenten

Statistisch errechnet wäre die Toilette im Flirt mit 33 Spülungen täglich bei einer durchschnittlichen Störungsquote von 0,04 pro Tag also nach 825 Spülungen defekt, diejenige im Traverso nach 1425 Nutzungen. Dies kann Michael Gesiot nicht bestätigen, da die Statistik in der Summe und nicht auf jede Toilette erhoben wird. «Die häufige Nutzung des hochsensiblen WC-Systems, bestehend aus Vakuumtoilette, Bioreaktor und Wassertank, ist nicht allein der Grund für Defekte.» Der Fachspezialist Flottenmanagement sieht die Ursache neben technischen Problemen, die bei den computergesteuerten Komponenten vorkommen können, zu gleichen Teilen auch bei der Abnutzung der Materialteile und in der falschen Anwendung. Dies gilt für Fachleute ebenso wie für Passagiere. Beim Lavabo etwa, das Teil des Toilettensystems ist, wurde ein Mangel in der Serie festgestellt, der zwischenzeitlich aber mehrheitlich behoben wurde: Der Sensor war im Werk falsch programmiert worden, was dazu geführt hatte, dass nach dem ersten Wasserbezug von 100 Millilitern die zweite Betätigung erst nach fünf Sekunden möglich war statt nach fünf Millisekunden.

Notfallmässige Pannenbehebung

«Im Fernverkehr werden die Toiletten häufiger benutzt, aber auch anders», weiss Michael Gesiot. Hygieneartikel von Damen wie Binden und Tampons oder Kinderwindeln werden auf langen Strecken öfter gewechselt. Dass dies keine wilde These ist, können die Mitarbeitenden im Service-Zentrum bestätigen. Allzu oft sind es solche Feststoffe, aber auch Unterwäsche und T-Shirts, die in der Toilette landen und die Rohre verstopfen. Da können dann auch die Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleiter, die speziell für die Behebung von Pannen ausgebildet wurden, nichts mehr ausrichten (Lesen Sie hier mehr über die Ausbildung der Kundenbegleitung.). Die Toilette wird gesperrt, der Zug muss so schnell als möglich in die Werkstatt, sofern es nicht noch eine weitere funktionierende Toilette im Zug gibt und dieser nicht ohnehin in absehbarer Zeit in den regulären Service muss.

Was nicht eingesogen werden kann, kann auch nicht ausgepumpt werden. Den Kolleginnen und Kollegen im Service-Zentrum bleibt dann nur, die Vakuumtoilette auszubauen, zu zerlegen und wieder einzubauen. Eine zeitraubende und unangenehme Arbeit.

Sparsamer Wasserverbrauch

Wasser fliesst nur wenig durch die Toiletten; es sind lediglich 0,5 Liter pro Spülung, weniger als ein Zehntel einer Haushalttoilettenspülung. Die Feststoffe werden durch einen hohen Vakuumdruck durch die fünf Zentimeter dicken Rohre gesaugt. «Und da kollabiert das System dann meist, wenn so grosse Gegenstände die Rohre verstopfen. Leider haben die zusätzlich angebrachten Informationskleber nicht die erwünschte Wirkung erzielt», so Michael Gesiot.

Dennoch sind er und sein Teamkollege Daniel Toggweiler überzeugt vom System mit Vakuumtoilette und Bioreaktor, mit dem bereits die Flirt der 1. und der 2. Serie ausgestattet wurden. «Das ist mittlerweile Standard in der Bahnbranche. Und im Vergleich zum Tanksystem, das noch im ‹alten› Voralpen-Express verbaut war, muss ein Bioreaktorsystem nur noch alle zwei bis drei Monate geleert werden statt alle drei bis fünf Tage», resümieren die beiden Fachspezialisten. Sie sehen trotz den noch nicht vollends beseitigten Kinderkrankheiten bei den neu entwickelten Bauteilen vor allem die Vorteile. «Wir benötigen so weniger Standorte mit der entsprechenden Infrastruktur und reduzieren die Standzeiten. Für Frischwasser müssen die Züge nicht ins Depot. Dafür gibt es Schläuche im Gleisbett in den Bahnhöfen, mit denen das Reinigungspersonal den Wassertank auffüllen kann.»

Eine dufte Sache

Nicht nur aus logistischer Sicht überwiegen die Pluspunkte. Auch aus ökologischer. «Ein Bioreaktor funktioniert ähnlich wie eine Abwasserreinigungsanlage», erklärt Michael. Das sogenannte Schwarzwasser aus der Toilette gelangt mit den Feststoffen in den Bioreaktor. Dort werden die Feststoffe, so wie in einem Darm, von Bakterien zersetzt, zu deren Erhalt dem Wasser Sauerstoff zugeführt wird; sie fallen in sich zusammen. Der flüssige Teil wird nach einer Nitrifikation, also nach einer Verarbeitung durch Mikroorganismen, noch hygienisiert. Das heisst, das Wasser wird auf 85 Grad Celsius erhitzt, um Keime abzutöten. «Mikrobiologisch betrachtet», scherzt Michael, «hat es dann Badewasserqualität. Wenn man von Farbe und Geruch absieht.» Dieses hygienisierte Abwasser wird dann bei einer tiefen Fahrgeschwindigkeit von 5 bis 40 Kilometern pro Stunde aufs Gleisbett gelassen, damit es den Wagenkasten nicht verspritzt und nicht zu Korrosionen am Wagenkasten führt.

(Un-)freiwillige Trennung von geliebten Gegenständen

Letztlich wird dann die Feststoffkammer im Depot geleert und gereinigt. In der Regel dann, wenn das Fahrzeug ohnehin zu einer der turnusgemässen Wartungen in die Werkstatt kommt. Was da alles in der Absauganlage, die von einer externen Firma gewartet wird, zum Vorschein kommt, lässt Interpretationsspielraum für manche Geschichte. Ohrstöpsel, Laserpointer, Schlüssel, Flaschendeckel und Ringe werden abgesondert, damit dann nur noch die Weichteile in den Häcksler gelangen, bevor alles in die Kanalisation fliesst und der Zug wieder einsatzbereit ist, samt Toilette. Damit wieder jeder 30. Passagier sie nutzen kann – diese Zahl ist das Resultat einer weiteren Berechnung: transportierte Fahrgäste geteilt durch Anzahl Spülungen pro Jahr.

Text: Claudia Krucker
Bilder/Grafik: Michael Gesiot, SOB

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