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Rauchmaschine, Feuerwehr, Rettungszüge: Im Rickentunnel den Ernstfall geprobt

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Die Intervention SBB hat im Rickentunnel zwischen Kaltbrunn und Wattwil trainiert: Simuliert wurde dabei ein Zusammenstoss eines Südostbahn-Zuges und eines Bauzuges. Ob Übung oder Ernstfall spielt für die Rettungskräfte keine Rolle. Für sie gilt höchste Konzentration.

Hochkonzentriert geht ein Feuerwehrmann nachts um halb 3 Uhr durch den Rickentunnel. In der Hand ein Suchstock, die Tunnelwände nur von den Scheinwerfern der Lösch- und Rettungszüge beleuchtet. Schritt für Schritt geht er dem SOB-Flirt 004 «Gurten» entlang, stösst punktgenau mit dem Stock unter den Zug. Haben sie beim Retten der Fahrgäste aus dem Zug jemanden übersehen?

Die Szene ist sinnbildlich für die gesamte Rettungsübung der Intervention SBB im Rickentunnel zwischen Kaltbrunn und Wattwil. Für die Einsatzkräfte spielt es keine Rolle, dass sie hier nur trainieren. Ob Ernstfall oder Übung, der Fokus ist immer auf die Menschenrettung und die eigene Sicherheit gelegt. Das Gebot gilt immer und überall.

«Reisen Sie wirklich, um anzukommen?», fragt Musiker und Künstler Büne Huber die Fahrgäste im kunstvoll gestalteten Flirt 004 «Gurten» auf einem seiner Plakate (mehr zum Zug von Büne Huber hier). «Eigentlich schon», würden wohl die meisten antworten. Doch in dieser Nacht geht es für die 30 Fahrgäste explizit darum, im Tunnel stecken zu bleiben und im stockdunklen Flirt auf ihre Rettung zu warten. Sie sind fiktive Opfer eines ebenso fiktiven Unfalls.

Minutiös haben die Verantwortlichen der Intervention SBB die Übung im Rickentunnel – der ebenfalls im Besitz der SBB ist – geplant. Das unerklärliche Szenario: Im 8,6 Kilometer langen Rickentunnel prallen ein S-Bahn-Zug der Südostbahn und ein Bauzug der SBB in der Tunnelmitte zusammen.

Auf dem Bauzug sind zwei Gleisarbeiter eingeklemmt, dazu kommen mehrere leichtverletzte und nicht mehr gehfähige Personen eines lokalen Tanzvereins im SOB-Zug. Zudem bildet sich Rauch, der die Rettungsarbeiten erschwert. Neben den SBB-Rettungsdiensten – Lösch- und Rettungszüge (LRZ) aus St. Gallen, Rapperswil und Zürich – stehen bei der Übung auch die Kantonspolizei St. Gallen, mehrere Feuerwehren aus der Region (Kaltbrunn, Wattwil, Rapperswil-Jona, St. Gallen), das Feuerwehrinspektorat St. Gallen und die Sanität Regio 144 im Einsatz.

Eine kleine Übung

Für Mirko Kunz, Leiter Entwicklung und Operationen bei der Intervention SBB, ist das – trotz des immensen Personalaufwandes – eine «kleine Übung». Das liegt in erster Linie an der mit 30 Personen vergleichsweise geringen Zahl an Figurantinnen und Figuranten, welche Bauarbeiter und Passagiere spielen. Kunz hat schon Übungen mit mehreren hundert Personen geplant und erlebt. Heute ist der Fokus ein anderer: «Bei der Übung im Ricken geht es vor allem um das Zusammenspiel der Einsatzkräfte.»

Lösch- und Rettungseinsätze der Intervention SBB sind stets ein Zusammenspiel mit anderen Blaulichtpartnern. Mit lokalen Berufs- und Milizfeuerwehren bestehen Vereinbarungen für den Ernstfall: Sie kommen, wie in dieser Nacht die Feuerwehren Rapperswil-Jona und St. Gallen, mit spezialisierten Feuerwehrleuten direkt auf den Lösch- und Rettungszug übernehmen den Einsatz an der Front. Das Team der Intervention SBB ist dabei für den sicheren Betrieb des Zuges während der gesamten Einsatzdauer zuständig. Dazu gehört auch, dass stets ein Lokführer im gesicherten Führerstand bleibt, um notfalls sofort wieder aus dem Tunnel fahren zu können.

Während die Feuerwehrleute aus Rapperswil-Jona Patienten um Patienten aus dem SOB-Flirt zum sicheren Rapperswiler Lösch- und Rettungszug zurückbringen können, ist auf der Seite des Bauzuges der LRZ aus St. Gallen noch nicht eingetroffen. Über Funk hört Übungsleiter Reto Landolt: Dichter Rauch verhindert die Anfahrt.

So oder so gilt für die LRZ am Einsatzort Fahrt auf Sicht. Das heisst: Die Geschwindigkeit muss den Sichtverhältnissen angepasst werden. Nun braucht es aber einen Feuerwehrmann, der dem Zug zu Fuss vorangehen muss, um die Lage zu erkunden – eine Situation, die trotz künstlichem Rauch auch im Ernstfall eintreten kann: Die Kaminwirkung des Tunnels führt dazu, dass der Rauch auf die Wattwiler Seite gedrückt wird, wie Reto Landolt erklärt. Das natürliche Phänomen hat aber auch einen Vorteil. Auf der Kaltbrunner Tunnelseite bleibt der Rauch komplett weg, die Einsatzkräfte haben stets freie Sicht und können entsprechend schnell retten.

Es blinkt wie in einer Disco

Aber auch wenn die Sicht gut ist, rennen die Rettungskräfte nicht einfach los, wenn sie am Einsatzort eintreffen. Ein Erkundungstrupp von zwei Feuerwehrleuten prüft die Situation: Welches ist die gute Seite des Tunnels für die Rettung und wo lauern Gefahren?

Wie Discolichter blinken kurz darauf Geräte über all im Tunnel: Gelbe Blinklichter markieren Orte wo gerettet werden muss, blaue Lichter zeigen Wasseranschlusspunkte und grün blinkt es, wo sichere Orte sind – in diesem Fall der Zugang zum Lösch- und Rettungszug. Kein Wunder tauchen deshalb schon kurz nach dem Erkundungstrupp die ersten Fahrgäste auf, die Schutz im Rettungszug suchen. Dieser bietet sichere Druckluftkammern zum Aufenthalt, auch liegend könnten verletze Personen transportiert werden.

Gleichzeitig mit den ersten selbstständigen Reisenden machen sich die Feuerwehrleute auf, nach verletzten Personen – in der Übung sind es 17, deren 7 müssen mit Trage geborgen werden – zu suchen. Sie tun dies mit klaren Ansagen und angepasstem Tempo. Denn Geschwindigkeit ist bei Rettungen nicht alles. Die eigene Sicherheit geht zu jederzeit vor, auch dafür wird trainiert. Beobachter der Rettungsübung – Feuerwehrinspektoren und andere Fachexperten – nehmen Notiz von jeder Unachtsamkeit, jeder Gefühlsregung.

Einsatz wird nachbesprochen

Im Nachgang werden einzelne Situationen nachbesprochen und die entsprechenden Lehren gezogen. Das gilt auch für die Partner, die im Hintergrund an der Übung mitwirken: Die Betriebszentralen der SBB und SOB und andere Mitarbeitende von Bahnfachdiensten wie der SOB-Transportplanung. Auch von ihnen sind in dieser Nacht Vertreterinnen und Vertreter vor Ort, um sich mit den Prozessen in solchen Einsätzen vertraut zu machen. Eine Rettungsübung bietet auch Platz für Weiterbildung.

Reto Landolt, Leiter des Interventionsstandortes Rapperswil, ist in der Übungsnacht zufrieden: Die Rettungskette hat funktioniert, die Einsatzkräfte sind dem schnurgeraden, aber sehr engen Rickentunnel gewachsen.

Text: Conradin Knabenhans
Fotos: Gian Vaitl, Keystone-SDA

Die Intervention SBB

340 Mitarbeitende der Intervention SBB bewältigen jährlich von 16 Standorten aus rund 7000 Einsätze. Sie kommen unter anderem bei technischen Problemen von Fahrzeugen, Unfällen oder zur Personenrettung zum Einsatz. Zudem kommen Sie bei Bränden in Bahnnähe zum Einsatz und können die Löscharbeiten von den Gleisen aus unterstützen - auch auf dem SOB-Streckennetz in der Ost- und Zentralschweiz. Die Lösch- und Rettungszüge der SBB sind in Basel, Biasca, Bern, Biel/Bienne, Brig, Brugg, Erstfeld, Genf, Lausanne, Melide, Olten, Rapperswil SG, Rotkreuz, St. Gallen, Winterthur und Zürich stationiert.

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