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Wenn sich Velos und Gepäck in die Quere kommen: Faszinierende Erkenntnisse aus der SOB-Objekterkennung

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Mit künstlicher Intelligenz wertet die Südostbahn in einem Pilotprojekt aus, wann und wie Velos und Gepäckstücke im Traverso transportiert werden. Die ersten Daten der automatischen Objekterkennung zeigt: Wetter und Ferien spielen wie erwartet eine grosse Rolle – die Überraschung kommt jedoch zur Mittagszeit. Fünf Fragen und Antworten zur Datenanalyse im Traverso.

1. Warum analysiert die Südostbahn den Gepäcktransport überhaupt?

Wie oft sind die Velo- und Gepäckflächen der SOB vollständig ausgelastet? Auf diese wichtige Frage gab es bisher eine einfache, aber äusserst unbefriedigende Antwort: Wir wissen es nicht.

Das hat gleich mehrere Gründe: Die heutigen Fahrgastzählsysteme können mit ihren Sensoren nur Fahrgäste beim Ein- und Aussteigen messen. Zudem sind in SOB-Zügen keine Veloreservationen möglich und die verkauften Velo-Tageskarten lassen ebenfalls keine Rückschlüsse auf die gefahrenen Routen zu. Für Gepäckstücke sind keine Tickets notwendig. In begleiteten Fernverkehrszügen werden die Daten zwar von Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleitern erfasst, aber oft reicht dem Zugpersonal die Zeit zwischen einzelnen Haltestellen nicht aus, um aussagekräftige Daten zum effektiven Velo- und Gepäckaufkommen zu sammeln.

Hier setzt ein Pilotprojekt der SOB an, das gemeinsam mit der spezialisierten Firma ASE durchgeführt wird: Die eingesetzte Software-Objekterkennung nutzt die Videobilder der ohnehin bereits installierten Kameras und wertet die Bilder lokal auf einem eigenen Datenrechner im Fahrzeug aus. Personendaten werden keine verknüpft. Ziel ist es, das Aufkommen von Fahrrädern und sperrigen Gegenständen detailliert zu analysieren und in der Zukunft daraus Prognosen ableiten zu können. Dies, um das Angebot optimieren zu können und die Kundeninformation zu verbessern. Seit September 2023 sind alle Traverso-Züge der SOB mit dem System ausgerüstet. Nun liegen die ersten Erkenntnisse vor – die Erfassung der Daten geht aber weiter (siehe Box).

2. Welche Objekte werden erkannt?

Das System kann verschiedene Gegenstände erkennen und zählen:

  • Fahrräder: Dazu zählen alle Zweiräder, vom Rennvelo bis zum E-Bike.
  • Koffer: Der klassische Reisekoffer und Trolley, sowohl als Hartschale wie aus Stoff.
  • Rollatoren und Kinderwagen: Sie werden gemeinsam betrachtet, weil sie im Zug ähnlich viel Platz brauchen.
  • Taschen: Es wurden Taschen erkannt, deren Volumen grösser als 70 Liter ist und damit Einfluss auf das Platzangebot haben.
  • Skis
  • Snowboards

Analysiert wurden im Versuch nur die im Fahrzeug vorhandenen Eingangs- und Gepäckzonen bei den Türen, nicht aber die einzelnen Sitzabteile. Die Türbereiche sind für sperriges Gepäck und für Fahrräder von besonderer Bedeutung, da für normale Gepäckstücke zwischen den Sitzen und über den Abteilen viel Stauraum im Traverso zur Verfügung steht.

Zwischen September 2023 und September 2024 hat das Objekterkennungssystem abertausende von Velos und Gegenständen gezählt, jeweils nach Abfahrt in einem Bahnhof. Velo-Spitzenreiter beim Treno Gottardo war dabei der Bahnhof Schwyz mit über 22'000 Fahrrädern. Am meisten Gepäckstücke wurden im IR35 Aare Linth erkannt: allein in Thalwil waren es fast 110'000. Die Zahlen sind aufgrund der Beschränkung der Auswertung auf die Türbereiche tendenziell unterschätzt. Auch Gepäckstücke oder Fahrräder in allfälligen Verstärkungsfahrzeugen des Typs Flirt werden nicht mitgezählt, da diese Fahrzeuge über keine entsprechende Zählausrüstung verfügen.

3. Wie wichtig ist die Zahl der transportierten Velos überhaupt?

Ein 150 Meter langer kupferfarbener Traverso bietet offiziell zwölf Veloplätze. Nimmt man alle Verbindungen der SOB zusammen, sind zwölf Plätze eigentlich völlig überdimensioniert. Denn selbst an Sonntagen sind im Durchschnitt der aktuell ausgewerteten Messperiode (Herbst-Winter-Frühling) nur gerade 2,2 Fahrräder pro Zug unterwegs – unter der Woche liegt der Schnitt bei etwas mehr als einem Fahrrad. Im Jahresdurchschnitt waren es am erwähnten Bahnhof Schwyz 1,7 Velos pro Zug.

Allerdings hat der Durchschnittswert wenig Aussagekraft. Nachts sind kaum Velofahrer unterwegs, ebenso bei Regenwetter oder Minustemperaturen. Unter der Woche ist es ruhiger als am Wochenende. Das Problem ist also eindeutig: Wenn Reisende mit Velos kommen, dann kommen viele – oft zu viele.

Für die SOB ist es also viel relevanter zu beurteilen, in welchen Situationen zu viele Fahrräder im Traverso unterwegs sind. Dank der Datenanalyse und in Kombination mit Wetter- und Feriendaten lassen sich Muster erkennen, die langfristig bei der Planung des Angebots hilfreich sein könnten. Analysiert wird nicht nur die Überschreitung der Kapazität über den gesamten Zug, sondern der einzelnen Velozonen. Verteilen sich die Fahrgäste schlecht über die gesamte Zuglänge, gäbe es möglicherweise noch freie Plätze – die Fahrräder stauen sich aber bei bestimmten Eingangstüren. Eine verbesserte Kundeninformation in Echtzeit könnte hier für eine gleichmässigere Verteilung sorgen.

4. Wann werden am meisten Velos und Gepäckstücke transportiert?

Die Auslastung der Züge mit Velo und Gepäck ist stark von der Saison abhängig. Besonders während der Ferien und an Feiertagen ist das Aufkommen von sperrigen Gegenständen situativ gross – das lässt sich für alle Wochentage auch statistisch belegen. Während im Winter die Zahl der transportierten Fahrräder deutlich zurückgeht, gibt’s beim Gepäcktransport einen deutlichen Winterpeak: Über die Weihnachts- und Neujahrstage wird sehr viel Gepäck transportiert – die Sportferien hingegen sorgen nur für einen kleinen Ausschlag.

Noch interessanter ist, dass sich auch bei den Wochentagen Unterschiede ergeben. Samstag und Sonntag sind die eindeutig stärksten Fahrradtage der Woche – der Sonntag gar noch ausgeprägter als der Samstag. In den Kategorien «Koffer» und «Taschen» hingegen ist der Freitag der stärkste Reisetag. Bei Reisenden aber auch Planern in der Regel wenig im Fokus steht der Montag als intensiver Transporttag von Gepäck. Doch die Daten zeigen ein anderes Bild. Der erste Tag der Woche steht den Wochenendtagen in Sachen transportierte Koffer kaum nach. Das Konzept des «verlängerten Wochenendes» scheint äusserst beliebt zu sein.

Übrigens: Stosszeiten erwarten viele am Morgen und Abend, so wie bei der Pendler-Rush-Hour unter der Woche. Doch die Daten widerlegen diese These, wie der exemplarische Blick in den Monat Mai und auf die Züge des Treno Gottardo zeigt. Während die Auslastung durch Velos tagsüber eher gleichmässig verteilt war, sorgten Koffer und Taschen um die Mittagszeit für Überlastung. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass öV-Unternehmen zwingend eine Gesamtbetrachtung der mitgebrachten Gegenstände vornehmen müssen. Das Velo ist – gerade, weil es auch von vielen Reisenden und in den Medien thematisiert wird – der «übliche Verdächtige». Doch auch andere Sportutensilien und Gepäckstücke brauchen viel Platz. Das gleiche Muster wird – wenn auch weniger ausgeprägt – auch auf anderen Linien beobachtet.

5. Wollen Reisende Veloplätze reservieren und dafür bezahlen?

Parallel zur Objekterkennung hat die Südostbahn unter Reisenden auch eine umfassende Online-Umfrage mit über 400 Teilnehmenden durchgeführt. Die Reisenden wurden unter anderem gefragt, ob sie vorgängig mit Echtzeitdaten über die erwartete Auslastung des Zuges informiert werden möchten oder ob sie eine Reservationsmöglichkeit, wie sie in Intercity-Zügen der SBB kostenpflichtig möglich und teilweise notwendig ist, begrüssen würden.

Wenig überraschend würden mehr Informationen über die Auslastung der Züge geschätzt. Je öfter jemand mit dem Fahrrad im öV unterwegs ist, nimmt auch die Bereitschaft zu, die Reise entsprechend anzupassen – allerdings nur dann, wenn sie sich gleichwohl nicht auf eine Verbindung festlegen müssen und flexibel bleiben. Fast zwei Drittel der Teilnehmenden würde eine Reservationsmöglichkeit für Velo- oder Gepäckstücke begrüssen – unabhängig davon, wie oft sie mit dem Velo in Zügen fahren. Obwohl in Kommentarspalten häufig kritisiert, wäre eine Mehrheit der Reisenden auch bereit, für die garantierte Mitnahme eine Gebühr zu bezahlen. Allerdings zeigt sich gerade in dieser Frage deutlich: Das Spannungsfeld ist gross. Gelegenheitsreisende sind deutlich öfter bereit, für eine Gebühr zu entrichten. Die Zahlungsbereitschaft kippt ins Negative, wenn Reisende wöchentlich oder täglich mit dem Velo im Zug unterwegs sind.

Text: Conradin Knabenhans
Bilder/Grafiken: SOB

Was passiert nun mit diesen Daten?

Die Objekterkennung in den Traverso-Fahrzeugen der SOB läuft bis im Frühling 2025 weiter. Damit steht eine umfangreiche Datenbasis zur Verfügung, die zur Erarbeitung von Prognosemodellen dienen kann. In einem zweiten Schritt kann dann geprüft werden, für welche Einsatzzwecke die Prognosemodelle geeignet wären – beispielsweise in der Kundeninformation oder mittelfristigen Fahrzeugplanung. Parallel dazu arbeitet die Südostbahn in einem Pilotprojekt an einem flexiblen Abteil, das bei erhöhtem Gepäck- und Veloaufkommen zusätzliche Stellfläche schaffen könnte.

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