Die Hauptdarsteller bei dieser Arbeit waren die motivierten und interessierten Lernenden im Bereich Automatik und Polymechanik. Nach einer Planungs- und Bauzeit von mehr als 1 600 Arbeitsstunden in drei Jahren übergab das Team rund um den verantwortlichen Projektleiter Andreas Gürber im Juni 2018 den Prüfstand feierlich der SOB-Geschäftsleitung.
Pneumatik ist die Lehre aller technischen Anwendungen, bei denen Druckluft dazu verwendet wird, einen definierten Prozess zu verrichten. Als Beispiel: In unseren Flirt-Zügen wird pneumatisch gebremst. Einfach erklärt heisst das, dass unsere Lokführerinnen und Lokführer die Kompositionen mit Druckluft zum Stehen bringen. Diese bildet das Steuermittel zum Bremsen – im Gegensatz zur Hydraulik. Diese alternativen Systeme verwenden Flüssigkeiten wie zum Beispiel Öl. Warum wir pneumatische Komponenten in unseren Zügen verwenden, hat einen einfachen Grund: die Sicherheit. Luft kann sich – im Gegensatz zu Öl – nicht entzünden.
Besondere Aufmerksamkeit bei den pneumatischen Komponenten unserer Züge kommt der Lokalisierung und Beseitigung von Luftverlust zu – in der Fachsprache «Leckagen» genannt. Denn geht den pneumatischen Bremsen, Ventilen, Pumpen oder Motoren die Luft aus, verlieren sie mehr und mehr ihrer Funktionstüchtigkeit. Das Gute daran: Da durch das Leck in den betroffenen pneumatischen Systemen lediglich Druckluft in die Umgebung abfliesst, besteht kein Sicherheits- oder Umweltrisiko. Dennoch sollten solche Schwachstellen regelmässig geortet und beseitigt werden, da sie ansonsten einen unnötig hohen Energieverbrauch verursachen.
Die komplexe Anlage prüft die betroffenen pneumatischen Komponenten auf Funktion und Dichtigkeit. Der Prüfling wird dazu in einer passgenau angefertigten Werkstückhalterung fixiert. Anschliessend beginnt der vorprogrammierte Prüfablauf.
Wer sich mit Prüfständen und Pneumatik nicht auskennt, hier ein Beispiel aus dem Alltag: der Wasserhahn. Bevor auch nur ein Tropfen Wasser aus dem Hahn läuft, setzt der Fachmann den Wasserhahn unter Druck. Danach öffnet er diesen, um zu prüfen, ob das Wasser ruhig und gleichmässig fliesst. Wird der Wasserhahn anschliessend wieder zugedreht, darf kein einziger Tropfen austreten. Dasselbe geschieht auf dem Prüfstand: Feinste Sensoren messen den Druck der Luftventile im Millibar-Bereich zwischen 0 und 12 Bar.
Und das funktioniert so: Zu Beginn der Prüfung wird Luft in die Ventile gedrückt. Verliert das Ventil Luft in der geschlossenen Position, wird das Leck geortet. Jeden Punkt misst der Prüfstand dabei rund 100-mal pro Sekunde, wertet die Resultate aus und vergleicht diese mit den Sollwerten. Eine ampelähnliche Kontrolllampe zeichnet das Prüfungsresultat auf. Steht die Ampel auf Grün, bestätigt der Mitarbeitende am Prüfstand dies mit einem anerkannten Zertifikat. Jede Komponente durchläuft den Prüfprozess dreimal. Eine letzte Prüfung erfolgt danach direkt auf dem Fahrzeug.
Neben einer hochkomplexen Technik steckt auch viel wirtschaftlicher Nutzen in diesem unscheinbaren grauen Wagen, der mehr an ein fahrendes Schreibpult erinnert als an eine hochkomplexe Prüfstation. Durch den Duopolmarkt im Bremsventilbereich sind die Preise nämlich gewaltig gestiegen. Mit einer eigenen Prüfeinrichtung spart die SOB einen siebenstelligen Betrag bei der Pneumatikrevision ein. Und der graue Goldesel kann noch mehr: Mit der geballten Ladung an Wissen, die sich in den drei Jahren Bauzeit angesammelt hat, ist die SOB imstande, auf dem Prüfstand auch Bremskomponenten von Drittfirmen einzuspannen, zu prüfen und zu zertifizieren.
Text: Brigitte Baur
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