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SOB testet Kundeninformation: So bewegen sich Reisende am Bahnhof Wattwil

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Fahrgäste des Voralpen-Express konnten sich in Wattwil testweise genau orientieren, wo sich eine Zugtüre beim Halt befinden wird und welche Services in diesem Wagen angeboten werden. Die Studie zum Pilotversuch bringt überraschende Erkenntnisse.

Wie bewegen sich Fahrgäste auf dem Perron? Und: Bringen zusätzliche Informationen zu den genauen Einsteigeorten in die Züge eine Verbesserung der Pünktlichkeit mit sich? Diese Fragen wollte die SOB am Bahnhof Wattwil mit einem Pilotversuch beantworten.

Montiert wurden am Perrondach von Gleis 4 deshalb mehrere neue Anzeigetafeln. Sie zeigten bei Verbindungen des Voralpen-Express nebst der Wagenklasse auch die im entsprechenden Wagen angebotenen Dienstleistungen wie Veloplätze oder Bistro an.

Um festzustellen, wie die Fahrgäste auf die zusätzlichen Hinweise reagieren, wurden vor der Montage Referenzmessungen zum Normalzustand gemacht. In einer späteren Pilotphase wurden die Fahrgäste auch akustisch mit Durchsagen auf die entsprechenden Anzeigetafeln hingewiesen. Das Forschungsprojekt wurde vom Forschungs- und Entwicklungsfonds (FEF) des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV) mitfinanziert.

Laufwege der Fahrgäste analysiert

Wie sich die Reisenden am Perron bewegen, wurde von der spezialisierten Zürcher Firma ASE mit Sensoren automatisiert erfasst und anonymisiert in Bewegungsmuster – sogenannte Trajektorien – umgewandelt. Diese Technologie ist vergleichbar mit Laufweganalysen, wie sie bei Fussballspielen in Stadien heute angefertigt und im TV gezeigt werden. Durch die eingesetzte Technologie werden Ein- und Aussteiger präzise gezählt sowie dazugehörige Personenflüsse und Türpositionen erkannt.

Die Auswertung der Daten zeigt: Zwar haben die Züge während der gesamten Pilotphase genau angehalten, doch die zusätzlichen Hinweistafeln am Bahnhof haben nicht zu schnelleren Fahrgastwechseln geführt. Die benötigte Zeit für das Ein- und Aussteigen ist in allen getesteten Szenarien – vom Referenzzustand ohne Anzeige bis zum Test mit akustischen Hinweisen – nahezu identisch. Auch zwischen Werktagen und Wochenenden oder während der Ferien konnte kein signifikanter Einfluss der Anzeigetafeln festgestellt werden. Wenig überraschend führten mehr Fahrgäste zu längeren Umschlagszeiten.

Die Analyse der Daten hat auch schlüssig gezeigt, weshalb: Es ist für viele Fahrgäste gar nicht notwendig, sich schon vor der Einfahrt des Zuges an einem bestimmten Ort auf dem Perron zu positionieren. Bei der Einfahrt eines Zuges begeben sich die Einsteiger während des Bremsvorgangs zu den Türpositionen. Hält der Zug an, steigen zuerst andere Fahrgäste aus. Bis die Kundinnen und Kunden dann tatsächlich einsteigen können, befinden sie sich bereits am richtigen Ort.

Die Macht der Gewohnheit

Zusätzlich durchgeführte Befragungen mit Reisenden zeigen, dass sich viele Fahrgäste auch nach mehreren Wochen gar nicht auf die neuen Anzeigetafeln achteten. Nicht benötigte Informationen werden vom Gehirn ausgeblendet. Ein Phänomen, das sich wissenschaftlich mit einfachen Experimenten belegen lässt.

Am Bahnhof Wattwil steht stellvertretend eine Aussage einer Gymnasiastin für diesen Effekt. Sie sagte in der Befragung: «Wir warten immer hier, an dieser Stelle auf den Zug. Das ist einfach so aus Gewohnheit. Aufgefallen ist uns, dass der Zug in letzter Zeit immer so hält, dass wir gerade vor der Tür stehen. Wir haben das lustig gefunden… Aber das ist in dem Fall ja gar kein Zufall, sondern wegen der Tafel…»

Für die grosse Mehrheit der Befragten ist die getestete Information eine sinnvolle Massnahme. Der Mehrwert für die Reisenden – kürzere Wege, weniger Stress – und für die SOB – Fahrplanstabilität und Pünktlichkeit – sind nachvollziehbar. Hilfreich könnten die Anzeigen insbesondere für Reisende mit Velo, Kinderwagen oder Rollstuhl sein. Gerade regelmässige Reisende fühlten sich nicht zwingend angesprochen: Sie wählen bestimmte Wagen nicht aufgrund eines Serviceangebotes, sondern wegen der Nähe am Einsteige- oder Zielbahnhof zu Unterführungen oder Busanschlüssen.

Erkenntnisse für weitere Forschungsprojekte

Die Annahme, dass sich die Verteilung der Fahrgäste auf dem Perron verbessern könnte und der Fahrgastwechsel schneller abgeschlossen würde, hat der Pilotversuch widerlegt. Dennoch sei es wichtig, den Pilotversuch durchgeführt zu haben, meint Philipp Anderegg. «Unser Versuch hat gezeigt, dass neue Anzeiger von Kundinnen und Kunden erst ‘gelernt’ werden müssen.» Zudem brauche es für ein solches System einen stärkeren individuellen Kundennutzen, etwa eine Anzeige von tatsächlich freien Sitzplätzen.

Die Ergebnisse des inzwischen abgeschlossenen Wattwiler Forschungsprojektes werden der gesamten öV-Branche zur Verfügung gestellt, damit die Schweizer öV-Unternehmen – darunter natürlich auch die SOB – weiter an der Verbesserung der Kundeninformation arbeiten kann.

Text: Conradin Knabenhans
Bilder: SOB/ASE

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