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Freizeitreisen buchen: Zusammenarbeit ist gefragt

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Freizeitaktivitäten sorgen für viel Verkehr. Gerade deshalb braucht es dafür nachhaltige Mobilitätslösungen. Die Schweizerische Südostbahn AG (SOB) will diese mit Kollaborationen bei der Planung und Buchung von Reisen ermöglichen.

Wer reisen und etwas erleben will, fällt Entscheidungen. Manche lassen sich von einer Wunschdestination inspirieren, andere wollen – egal wo – eine ganz bestimmte Aktivität erleben und für wieder andere ist die Wahl des Verkehrsmittels Ausgangspunkt für die Freizeitplanung. Lange Zeit fokussierte sich die Verkehrsplanung fast ausschliesslich auf die Hauptverkehrszeiten. Einprägsame Bilder von Staus und Pendlerströmen zu Stosszeiten, gepaart mit den Prognosen zum Bevölkerungswachstum, trugen dazu bei. In den Hintergrund gerückt ist dabei, dass der Freizeitverkehr selbst an Wochentagen für den grössten Anteil der zurückgelegten Strecken verantwortlich ist. Im Wochenverlauf, so zeigen es Erhebungen des Bundesamtes für Statistik, machen Arbeitswege nur rund ein Viertel der gefahrenen Distanzen aus, Freizeitaktivitäten hingegen verursachen fast 45 % der Mobilität. Der Rest entfällt auf Wege zum Einkaufen, zu Ausbildungsstätten oder für Dienstfahrten.

Viel Potenzial für den öffentlichen Verkehr

Gerade mit Blick auf die Energiestrategie 2050 und die damit verbundenen CO2-Ziele des Bundes kommt dem Freizeitbereich also eine grosse Bedeutung zu. Denn Mobilität ist ein grosser Energiefresser. Es geht je länger je mehr also nicht mehr nur darum, die Pendlerströme möglichst ökologisch von A nach B zu bringen – die Südostbahn engagiert sich hier in der Genossenschaft openmobility sehr stark –, sondern auch darum, im Freizeitverkehr nachhaltiger unterwegs zu sein. Im Jahr 2015 entfielen zwei Drittel aller Freizeitfahrten auf den motorisierten Individualverkehr, im Vergleich zu 2005 gewann der öffentliche Verkehr mit einem Zuwachs von rund 5 % nur langsam Anteile hinzu.

Gleichberechtigte Zusammenarbeit

Es braucht also neue Ansätze, wie der öffentliche Verkehr und touristische Partner enger zusammenarbeiten können, um die Mobilität auch im Freizeitbereich auf ein nachhaltigeres und zukunftsgerichtetes Fundament zu stellen und gleichzeitig Angebot und Nachfrage optimal aufeinander abzustimmen.

Zwei Aspekten kommt dabei eine besonders bedeutsame Rolle zu, weil sie in der Vergangenheit oft unterschätzt wurden: Das gemeinschaftliche Denken und die offene, gleichberechtigte Zusammenarbeit. Hier engagiert sich die Südostbahn als Enabler. Die SOB will die Zukunft aktiv mitgestalten. Dafür entwickelt sie unter anderem das Denkmodell für ein partizipatives Ökosystem, das aus dem früheren, ticketorientierten Projekt abilio entstanden ist, weiter. Mit der «Nationalen Dateninfrastruktur NADIM» arbeitet nun auch der Bund in diese Richtung, um multimodale Mobilität zu ermöglichen. Die Idee wurde durch die Initiativen der SOB wesentlich mitgeprägt.

Betrachtet man die Entwicklung im Freizeitverkehr aus einer gewissen Distanz, stellt man rasch fest: Die Kundengewinnung von touristischen Leistungsträgern – ganz unabhängig ob Ausflugsziel, Museum, Kulturbetrieb, Gastronomie oder Verkehrsbetrieb – war und ist auf den Selbstzweck, das eigene Angebot fokussiert. Gleichzeitig wird deutlich, dass in der überregionalen Vermarktung dieser Angebote globale Buchungsplattformen den Markt dominieren. Die Leistungsträger haben sich den Konditionen dieser Giganten unterzuordnen. Zwar können damit Gäste gewonnen werden, finanziell führt dies aber durch die Monopolstellung der Plattformenanbieter zu schlechten Bedingungen für die einzelnen Betriebe. Zudem geht der direkte Kontakt zum Kunden verloren. Die Folgen dieser Entwicklung sind gefährlich, für kleine Betriebe gar existenzbedrohend. Sie finden in diesem grossen digitalen Universum ihr Publikum nicht und stürzen sich in Abhängigkeiten.

Von Kollaboration profitieren alle

Das Modell der Zukunft muss deshalb gezielt auf Kollaboration setzen. Reisen, Freizeit und Tourismus müssen neu als partizipatives Ökosystem gedacht werden. Nur so lässt es sich in allen Belangen nachhaltig entwickeln. Es braucht nicht eine grosse Buchungsplattform, sondern eine Multiplikation der Zugänge für Kundinnen und Kunden. Auch ein sehr kleiner Anbieter soll mit vertretbarem Aufwand seine Erlebnisse digital anbieten können, überall dort, wo auch die grossen Leistungsträger Produkte verkaufen.

Das Betreiben eigener Buchungstools war für regionale Anbieter von Freizeit- und Tourismusleistungen lange Zeit finanziell unattraktiv, gerade weil ihnen die Vernetzung fehlte. Dank offenen Systemen ist es auch für Tourismuspartner möglich, die passenden Mobilitätslösungen zur Anreise mitzuofferieren. Wer Angebote und Reisemöglichkeiten aus einer Hand anbieten kann, profitiert bei der Kundengewinnung. Dabei schaffen die modernen Technologien im Bereich von Schnittstellen und Verknüpfungen neue Möglichkeiten: Alles aus einer Hand anzubieten, heisst heute nicht mehr, eine Monopolplattform zu betreiben. Für den Anbieter von Leistungen soll es keine Rolle mehr spielen, wo ein Kunde bucht. Ein Gast soll seine Reise dort von A bis Z zusammenstellen können, wo er mit einer Freizeitidee in Kontakt kommt.

Anbieter entscheiden über Preise

Für die Leistungsträger ergeben sich mehrere gewichtige positive Unterschiede zu einer zentral geführten Buchungsplattform. Die Vertriebskanäle für die Leistungsträger werden vervielfacht. Diese behalten jedoch ihre Selbstbestimmung über ihre Produkte und deren Preisgestaltung. Ebenso verbleiben dank der Datenhoheit sämtliche Kundendaten Eigentum des Leistungserbringers. Zudem entscheidet ein Leistungsträger dank der Preisverantwortung selbst, wie er seine Verkaufsangebote gestalten will. Von grossen Playern teilweise mit Druck durchgesetzte Verkaufskonditionen führen nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen, sondern hemmen auch die Digitalisierung vieler Leistungsträger überhaupt, weil sie aus ökonomischen Gründen kein Interesse haben, an zentral geführten Plattformen zu partizipieren. Eine Änderung ist nur mit dem Ansatz des partizipativen Ökosystems möglich, weil der Verkaufsplattform kein eigenes Geschäftsmodell hinterlegt ist – sie ist nur Mittel zum Zweck. Damit ist sichergestellt, dass die touristischen Leistungserbringer zukunftsgerichtet und selbstständig agieren können und nicht mit neuen Abhängigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Kunden gehindert sind.

Dass sämtliche Beteiligten über die gleich langen Spiesse verfügen sollen, ist auch das zentrale Anliegen und die unabdingbare Bedingung im Engagement der Südostbahn im Bereich der Tourismusdigitalisierung. Der Gedanke der Zusammenarbeit von gleichberechtigten Partnern ist in der Unternehmensphilosophie der SOB verankert und prägt die neuen Projekte.

Marktplatz als Meilenstein

Die Südostbahn konnte im November 2020 den eigenen digitalen Marktplatz in Betrieb nehmen. Technologischer Partner ist die Alturos Destinations AG. Das Angebot der SOB wurde als erster Marktplatz mit einer Open-Access-Lösung aufgebaut – damit ist es für Tourismuspartner möglich, ihre Angebote sowohl auf dem Marktplatz der Südostbahn als auch auf eigenen und weiteren Buchungsplattformen anzubieten.

Die Tourismusregionen Sattel-Hochstuckli, Stoos, Rigi, Bellinzona und Andermatt /Sedrun haben ihre Angebote zum Start des Treno Gottardo im Dezember 2020 auch auf dem SOB-Marktplatz angeboten. In mehreren Kantonen wird die Digitalisierung der Angebotsvermarktung durch Projekte der Neuen Regionalpolitik (NRP) und im Raum Gotthard durch das Programm San Gottardo unterstützt. Damit der Ansatz des partizipativen Ökosystems und der multimodalen Mobilität langfristig erfolgreich sein wird, braucht es einen noch breiter abgestützten Schulterschluss von allen Beteiligten: von Verkehrsbetrieben über Tourismusorganisationen bis hin zur Politik. Gerade Kantone und Gemeinden können etwa mit Förderprogrammen ihre lokalen Anbieter bei der Digitalisierung unterstützen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dem öffentlichen Verkehr und dem Tourismus in allen Belangen nachhaltige Zukunftsperspektiven zu ermöglichen.

Dieser Text erschien Ende April 2021 erstmals im Geschäftsbericht 2020 der Südostbahn.

Das partizipative Ökosystem der Südostbahn

Mit dem digitalen Marktplatz für Angebote aus den Bereichen öffentlicher Verkehr, Freizeit und Tourismus lanciert die Südostbahn gemeinsam mit Alturos Destinations ein partizipatives Ökosystem. Der Kern des digitalen Marktplatzes ist eine B2B-Lösung, die es Leistungsträgern ermöglicht, ihre Produkte digital zu erfassen und verfügbar zu machen. Der Verkauf der Angebote an Kunden (B2C) erfolgt dann über verschiedene Webshops, welche an den Marktplatz angebunden sind – beispielsweise über die Webseiten von Tourismusorganisationen oder eigene Shops der Südostbahn wie www.trenogottardo.ch.

Mit diesem Ansatz des digitalen Marktplatzes als Plattform ist eine Multiplikation der Vertriebskanäle möglich. Dabei bleiben die Leistungsträger in ihrer Selbstbestimmung autonom – etwa in der Preisgestaltung oder der Auswahl der Vertriebspartner (Webshops). Die Integration von Leistungsträgern auf den digitalen Marktplatz geschieht mittels neutralem Open-Access-Ansatz: Alle interessierten Partner haben ohne Exklusivität oder Bevorzugung die Möglichkeit, an diesem Marktplatz zu partizipieren. Das Geschäftsmodell des Marktplatzes sieht vor, dass sich der Betrieb des digitalen Marktplatzes mittelfristig selbst trägt. Dies geschieht über eine einheitliche Transaktionsgebühr.

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