Sicherheit und Pünktlichkeit im Bahnverkehr sind heute selbstverständlich. Ein zentrales Element dafür ist das European Train Control System (ETCS). Dieses hochmoderne System überwacht den Zugverkehr und löst – wenn Gefahr besteht – eine Zwangsbremsung aus.
Was als visionäres Projekt begann, hat sich inzwischen zu einem unverzichtbaren Bestandteil des europäischen Schienennetzes entwickelt – das European Train Control System. Doch das System ist nicht statisch: Es entwickelt sich kontinuierlich weiter, um den steigenden Anforderungen an Sicherheit, Pünktlichkeit und Kapazität gerecht zu werden. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Unterschiede zwischen ETCS Level 1 und Level 2 und beleuchten, warum der Übergang zu Level 2 entscheidend für die Zukunft des Bahnverkehrs ist und welche Rolle die Südostbahn dabei übernimmt.
Die ersten Konzepte für ein europaweit einheitliches Zugbeeinflussungssystem entstanden in den 1980er-Jahren. Der Bedarf war klar: Nationale Systeme erschwerten den grenzüberschreitenden Bahnverkehr erheblich. Die Europäische Eisenbahn-Agentur (ERA) erlässt seither die technischen Standards für ganz Europa, während die einzelnen Länder für die Umsetzung zuständig sind. Bahnunternehmen müssen dafür sorgen, dass ihre Züge und ihre Infrastruktur den Anforderungen entsprechen. Mit der Einführung von ETCS wurde erstmals die Interoperabilität möglich. Das heisst, Züge aus verschiedenen Ländern und von unterschiedlichen Bahngesellschaften können nun durch andere Länder fahren. Vor ETCS mussten internationale Züge mehrere nationale Sicherungssysteme an Bord haben. So brauchte es auf der Güterverbindung von Rotterdam nach Genua Sicherungssysteme für Niederlande, Deutschland, die Schweiz und Italien – oder es musste an den Grenzen die Lokomotive gewechselt werden. Das war sowohl kostspielig als auch kompliziert.
Beide ETCS-Varianten überwachen den Zugverkehr, unterscheiden sich jedoch in der Art und Weise, wie sie Informationen übertragen. ETCS Level 1 basiert auf einem punktuellen Informationsaustausch zwischen Zug und Strecke. Die Kommunikation erfolgt hauptsächlich über klassische Aussensignale und Eurobalisen, die im Gleisbett installiert sind. Diese Balisen übermitteln dem Zug Informationen zur Aussensignalisierung sowie optional Geschwindigkeitsprofile oder Streckendetails. Der Nachteil: Zwischen den Balisen gibt es keine kontinuierliche Datenübertragung, sodass keine Echtzeitinformationen vorliegen. Im Gegensatz dazu ermöglicht Level 2 eine ständige Kommunikation zwischen dem Zug und dem sogenannten Radio Block Centre (RBC), einer zentralen Leitstelle im ETCS. Das RBC überwacht die Züge kontinuierlich und übermittelt per Funk in Echtzeit Informationen zur Fahrerlaubnis sowie Streckendetails. Der Vorteil: Der Zug ist nicht mehr auf punktuelle Daten angewiesen, sondern erhält laufend aktuelle Informationen, wodurch Sicherheit und Effizienz des Bahnverkehrs deutlich gesteigert werden.
Im Rahmen der im November 2023 veröffentlichten ERTMS-Strategie (European Rail Traffic Management System) hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) der Bahnbranche den Auftrag erteilt, ETCS Level 2 flächendeckend in der Schweiz einzuführen mit dem Ziel, den internationalen Verkehr zu vereinfachen und die Interoperabilität zu stärken. Die Neubaustrecken Mattstetten–Rothrist, der Gotthard-, Ceneri- und der Lötschberg-Basistunnel sowie die Strecken Sion–Sierre und Pully–Villeneuve sind bereits mit ETCS Level 2 ausgerüstet. Bis Juni 2025 soll die Strecke Lugano–Capolago folgen.
Der Einsatz von ETCS Level 2 auf Nebenstrecken stellt eine besondere Herausforderung dar. Bisher stand die Ausrüstung von Hochgeschwindigkeitsstrecken im Vordergrund. Um Antworten zu erhalten, erprobt die Südostbahn im Auftrag des BAV die Implementierung von ETCS Level 2 auf ihrer Nebenstrecke Biberbrugg–Steinerberg. Diese bietet sich durch Besonderheiten wie erschwerte Topografie, zahlreiche Bahnübergänge, lange Einspurabschnitte oder teilweise ältere Infrastruktur an. Daniel Kesseli, Programmleiter Bahnautomation bei der Südostbahn, leitet das Projekt in enger Zusammenarbeit mit Industrie, Systemführerschaften und anderen Schweizer Bahnunternehmen. Er klärt auf, dass ETCS Level 2 ursprünglich für Hauptstrecken mit hohem Verkehrsaufkommen und Mischverkehr entwickelt wurde. Auf Nebenstrecken, wo die Züge langsamer fahren und weniger Passagiere befördert werden, braucht es angepasste Lösungen. Es soll ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Kapazität gefunden werden, ohne grössere Anpassungen an der bestehenden Infrastruktur vorzunehmen. Die Studie wurde Ende 2024 abgeschlossen. Anschliessend wird die beste Variante weiter vertieft, mit einer möglichen Inbetriebnahme zwischen 2028 und 2030.
Kommunikationstechnologie als Schlüssel
Ein entscheidender Faktor bei der Weiterentwicklung von ETCS ist die Kommunikationstechnologie. Das bisher genutzte GSM-R-System (2G) wird durch FRMCS (Future Railway Mobile Communication System) auf der Basis einer 5G-Technologie ersetzt. FRMCS bietet höhere Datenübertragungsraten und mehr Zuverlässigkeit, was bei der Echtzeitüberwachung durch ETCS Level 2 entscheidend ist. Mit der Umstellung auf FRMCS wird die Kommunikation zwischen Zug und Leitstelle optimiert, was sowohl die Sicherheit als auch die Effizienz weiter verbessert. Daniel Kesseli ist überzeugt: «Die kontinuierliche Weiterentwicklung von ETCS und die Einführung moderner Kommunikationstechnologien wie FRMCS ermöglichen die notwendige Interoperabilität des europäischen Schienennetzes und die Zukunft des digitalen Bahnverkehrs».
Der Einsatz von ETCS Level 1 zu Level 2 verdeutlicht die Fortschritte im europäischen Schienenverkehr. Durch die kontinuierliche Überwachung mittels ETCS Level 2 und den Einsatz neuer Kommunikationsstandards wie FRMCS sichert das Zusammenspiel der Systeme weiterhin einen robusten und zuverlässigen Bahnbetrieb. Pilotprojekte wie das der Südostbahn zeigen, dass die Zukunft des Bahnverkehrs in der Digitalisierung liegt.
Text: Brigitte Baur, Foto: SOB