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Die Mobilitätswende erfordert Vernetzung: auch bei der Finanzierung

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In der Schweiz bestehen auf Strasse und Schiene Kapazitätsengpässe. Das bisherige Rezept dagegen: Neue Strassen und Schienen bauen. Ist das zukunftsgerichtet? Die Südostbahn und Q_PERIOR haben gemeinsam einen Denkanstoss erarbeitet: Es braucht eine Gesamtbetrachtung - auch wenn es um die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur geht.

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Die Schlagworte Nachhaltigkeit, CO2-netto-null-Ziel, Verkehrs- und Mobilitätswende sind in aller Munde. Politik und Gesellschaft haben sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen sowie die weiteren Belastungen durch den Verkehr (insb. Feinstaub, Lärm, Flächenversiegelung) signifikant zu reduzieren. Gleichzeitig ist unser Bedürfnis nach uneingeschränkter Mobilität ungebrochen: Tatsächlich hebt der steigende Mobilitätsbedarf bis anhin die erzielten Gewinne der zunehmenden Energieeffizienz auf. Als dessen Folge bleibt der Ressourcenbedarf des Verkehrssektors hoch und die Flächenversiegelung nimmt sogar weiter zu.

Im Vergleich dazu konnten andere Sektoren in den vergangenen Jahren signifikante Emissionsreduktionen vorweisen. Etwa ein Drittel des Gesamtenergiebedarfs und fast 40 Prozent der CO2-Emissionen der Schweiz entfallen auf den Verkehr – eine Trendwende ist nicht absehbar und die Erreichung des CO2-netto-null-Ziels entsprechend in Gefahr.

Wie kommt es zu diesem Trend, wenngleich sich unsere Möglichkeiten mit der vernetzten bzw. smarten Mobilität in den letzten Jahren vervielfältigt haben? Es gab jede Menge innovativer Denkanstösse, Ideen, Konzepte und Lösungen: von der intelligenten und kollektiven Routenplanung über Programme zur Regulierung von Verkehrsspitzen und Systeme zur automatisierten Optimierung des Verkehrsflusses bis hin zu verschiedensten Spielformen geteilter (Mikro-)Mobilität sowie bedarfsgesteuerten Transportlösungen.

Mit Smart Mobility soll mittels integraler Vernetzung der klassischen Verkehrsangebote (d.h. öV und Individualverkehr) und ergänzender Mobilitätsangebote in den Bereichen Sharing und On demand ein signifikant effizienteres Verkehrssystem geschaffen werden. Das Ganze wird durch eine ausgeklügelte digitale Infrastruktur ermöglicht. Warum beobachten wir in der Schweiz jeweils nur einen zeitlich und räumlich begrenzten Betrieb von Angeboten der smarten Mobilität? Wieso wird die digitale Infrastruktur zur Ermöglichung eines intelligenten Verkehrsmanagements vorwiegend diskutiert, aber nicht schon heute ambitioniert umgesetzt?

Klassische Finanzierungsmodelle fokussieren auf die «Silos» Strassen- und öV-Infrastruktur

Unsere klassischen Finanzierungsmodelle unterscheiden klar zwischen den Domänen Individual- und öffentlicher Verkehr, was zur Bildung von «Silos» beiträgt. (Strassenfinanzierung: NAF und SFSV finanzieren die Nationalstrassen. Dazu kommen Kantons- und Gemeindestrassen. Schiene bzw. Angebote des öffentlichen Verkehrs werden durch BIF, RPV und Ortsverkehre finanziert.)

Wir denken Mobilität nicht als vernetztes Gesamtsystem, sondern sehen den motorisierten Individualverkehr und den öffentlichen Verkehr als zwei separate Systeme, die weitgehend unabhängig voneinander betrachtet und optimiert werden müssen.

Das heutige Finanzierungsmodell setzt wenig Anreize, bestehende physische Infrastrukturen effizienter zu nutzen, und incentiviert zudem deren übermässigen Ausbau. Vernetzte Smart-Mobility-Lösungen können innerhalb des bestehenden Rahmenwerks nicht oder nur unter sehr spezifischen Bedingungen finanziert werden. Anschubfinanzierungsmodelle ermöglichen zwar einen befristeten und räumlich begrenzten Probebetrieb, aber oftmals fehlt die Möglichkeit, Smart-Mobility-Lösungen dauerhaft und flächendeckend zu finanzieren. Opportunitäten, die im Zug der Digitalisierung (u.a. digitale Dateninfrastrukturen, neuartige Mobilitätsangebote) entstehen, werden, wenn überhaupt, nur punktuell gegenüber etablierten Instrumenten der Infrastruktur- und Angebotsentwicklung in Erwägung gezogen. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass bspw. der Bau von Umfahrungsstrassen intensiv geplant wird und oft breiten Zuspruch findet, während ein alternatives Mobilitätsangebot, das die zusätzliche Infrastruktur obsolet machen würde, noch nicht einmal in Betracht gezogen wird. Und dies, obwohl ein solches Angebot mit einem Bruchteil der Kosten einer solchen Infrastruktur auskäme.

Ein konkretes Beispiel: Die 3,6 Kilometer lange Umfahrungsstrasse Aarwangen wird über 150 Mio. CHF kosten. Mit diesem Betrag könnte ein On-demand-Shuttle-Angebot mit 20 Kleinbussen für ein Gebiet mit einer Bevölkerung von ca. 100’000 Personen während rund 20 Jahren vollumfassend finanziert werden.

Eine separate Finanzierung von Smart-Mobility-Angeboten hilft nicht weiter

Ein naheliegender, jedoch nicht unbedingt zielführender Ansatz wäre die Erschaffung eines vierten «Silos» für die Finanzierung von Smart Mobility. Dass sich mit einer solchen Finanzierungsmöglichkeit viele Smart-Mobility-Angebote erschaffen liessen, steht ausser Frage. Bei einer separaten Finanzierung ist jedoch absehbar, dass Mobilität weiterhin nicht als Gesamtsystem behandelt und die vorhandenen Möglichkeiten dadurch nicht optimal genutzt werden würden – sowohl angebots- als auch infrastrukturseitig. Die den verschiedenen Finanzierungstöpfen entspringenden Lösungen wären vermutlich weiterhin separate und alleinstehende Angebote ohne durchgängige Vernetzung.

Schlimmer noch: Es bestünde die Gefahr, dass ein Überangebot geschaffen wird, was wiederum zu ineffizienter Auslastung einzelner Verkehrsmittel und zu Mehrbelastung der Infrastrukturen führen würde. Das Problem ist also nicht in einer fehlenden Finanzierung begründet, sondern in der mangelnden Vernetzung im Gesamtsystem. Diese führt zu einer schlechten Auslastung der Fahrzeuge wie auch der zur Verfügung stehenden Verkehrsfläche, was das Gesamtsystem deutlich ineffizienter macht, als es aufgrund der Ausgangslage in der Schweiz sein könnte.

Smart Mobility muss im Kontext schon bestehender Angebote und Infrastrukturen gedacht werden

An diesem Punkt sollten wir ansetzen: Echte, intelligente Smart-Mobility-Lösungen zeigen ihre Stärke genau darin, das bestehende Verkehrssystem mit gezielten, massgeschneiderten Massnahmen alternativer Verkehrsangebote zu ergänzen, bestehende und neue Angebote zu vernetzen und das Gesamtangebot einfach zugänglich zu machen. Die grösste Wirkung erzielen Ansätze, die möglichst vielen Menschen den Umstieg von klassischen, energieintensiven Verkehrsmitteln – insbesondere dem privaten, meist allein genutzten Auto – auf moderne, ressourcenschonende Lösungen erleichtern. Oftmals fehlt nicht viel, um den Umstieg zu ermöglichen: zum Beispiel eine verbesserte Anbindung von Gebieten abseits der Hauptverkehrsachsen, ein Mobilitätsmanagement in Unternehmen oder eine unkompliziert nutzbare Transportmöglichkeit für den Wocheneinkauf.

Zusätzlich haben Smart-Mobility-Lösungen das Potenzial, die üblichen Verkehrs- und Passagierströme so zu beeinflussen, dass Spitzenlasten gebrochen und die durchschnittliche Auslastung von Verkehrsmitteln verbessert werden kann.

In der Summe bietet Smart Mobility das Potenzial, mittels vernetzter Betrachtung der verschiedenen Transportmodi sowie der Nutzung digitaler Hilfsmittel ein besseres und kundenorientierteres Mobilitätsangebot auf der bestehenden Verkehrsinfrastruktur effizienter bereitzustellen – sowohl hinsichtlich monetärer als auch externer Kosten und des Flächenbedarfs.

Übergreifende Finanzierung fördert ganzheitliche Betrachtung von Mobilitätsthemen

Wer dedizierte Finanzierungsgefässe für Nationalstrassen und Bahnlinien bereitstellt, wird auch Autobahnen und Bahnlinien erhalten. Ohne Zweifel sind Investitionen in den Erhalt und den Ausbau von Verkehrsinfrastruktur nötig. Allerdings hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass wir die Klima- und Effizienzziele im Verkehrssektor mit dieser Strategie und der fragmentierten Finanzierungsstruktur nicht erreichen werden, weil der Status quo gestärkt, die vernetzte Betrachtung des Gesamtsystems verhindert und die Etablierung innovativer Ansätze gehemmt wird.

Wie kommen wir nun also zu einem smarten und vernetzten Mobilitätsökosystem mit den zuvor beschriebenen Vorteilen? Indem das vernetzte Denken schon bei der Finanzierung der Angebote und Infrastrukturen beginnt.

Daraus schliessen wir:

  • Eine zumindest teilweise Umverteilung der enormen Infrastrukturinvestitionen hin zur Entwicklung intelligenter und vernetzter Verkehrslösungen stellt einen wichtigen Schritt dar, der helfen würde, einerseits die Emissionsreduktionsziele auch im Verkehrssektor zu erreichen und andererseits die bestehende Infrastruktur effizienter zu nutzen.
  • Dazu müssen wir den Entscheidungsträgern auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene mehr Möglichkeiten geben, die vorhandenen Gelder flexibel und bedarfsorientiert einzusetzen, statt sie lediglich zwischen Strassenausbauten, Bus- und Bahnlinien wählen zu lassen.
  • Allerdings verhindert die Zweckbindung bestehender Finanzierungsmöglichkeiten den optimalen Einsatz der Steuergelder. Abhilfe schaffen würde der Verzicht auf die bestehenden getrennten Finanzierungstöpfe zugunsten eines nationalen Mobilitätsfonds, der verkehrsmittelneutral die Mittel für ein hocheffizientes und resilientes, smartes und vernetztes Mobilitätsökosystem bereitstellt – einerseits zur Förderung bewährter wie auch innovativer Mobilitätsangebote aus öffentlicher oder privater Hand, anderseits zur Entwicklung und für den Betrieb physischer und digitaler Infrastruktur gleichermassen – unter optimalem Einsatz von Steuergeldern.

Diese Stossrichtung ist in Übereinstimmung mit dem Programmteil des Sachplans Verkehr «Mobilität und Raum 2050» und fügt diesem strategischen Koordinationsinstrument des Bundes für die abgestimmte Entwicklung des schweizerischen Gesamtverkehrssystems (Strasse, Schiene, Luft- und Schifffahrt) die dort fehlende Komponente der Finanzierung hinzu.

Eine dauerhafte Senkung der vielfältigen Belastungen durch den Verkehrssektor erfordert fundamentale strukturelle Veränderungen bei den Finanzierungsmechanismen: Nur so wird eine ganzheitliche Planung und eine effiziente Bewirtschaftung des Gesamtmobilitätssystems möglich.

Text: Schweizerische Südostbahn AG / Q_PERIOR AG

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Die Autoren des Whitepapers

Schweizerische Südostbahn AG

Die Schweizerische Südostbahn AG (SOB) ist ein eigenständiges, nach privatwirtschaftlichen Kriterien geführtes Eisenbahnunternehmen mit über 850 Mitarbeitenden. Die SOB ist in der Deutsch- und Südschweiz im regionalen Personen- und im Fernverkehr tätig und betreibt in der Ost- und Zentralschweiz eine eigene Schieneninfrastruktur. Die SOB schafft die Voraussetzungen, dass Angebote verschiedener Leistungsträger zu tragfähigen Mobilitätslösungen verknüpft werden können. Als Innovationspartnerin für Industrie und Branche übernimmt die SOB eine relevante Rolle in der Weiterentwicklung der Schweizer Mobilitätslandschaft.

Q_PERIOR AG

Q_PERIOR ist eine international tätige Unternehmensberatung mit Schwerpunkt Management- und IT-Beratung und beschäftigt über 1'750 Mitarbeitende. Im DACH-Raum berät Q_PERIOR Mobilitätsanbieter, Verkehrsinfrastrukturbetreiber, Städte und Kommunen, Energieversorger und weitere im Kontext Mobilität agierende Unternehmen bei Digitalisierung, Einführung neuer Technologien und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Als Trusted Advisor unterstützt Q_PERIOR dabei mit Know-How aus klassischen Branchen, sowie mit Wissen und Erfahrung im Bereich der vernetzten Mobilität und schafft somit beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mobilitätswende.

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