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Der schärfste Exportschlager der Schweiz

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Der Treno Gottardo unterwegs zwischen Schwyz und Brunnen: Victorinox produziert in Schwyz das berühmteste Messer der Welt. Das Swiss Army Knife hat sich als Nothelfer ebenso bewährt wie als Souvenir. Das liegt daran, dass ein Geheimnis ganz besonders gehütet wird.

„Never leave the planet without one.“ – Der Satz stammt nicht aus der Marketingabteilung von Victorinox. Vielmehr handelt es sich um eine Empfehlung des NASA-Astronauten Chris Hadfield, der 1995 mit einem Space Shuttle unterwegs zur russischen Raumstation MIR war. Als er nach dem Andocken die Luke der MIR öffnen wollte, war diese verklebt und mit Kabeln verschnürt. Da zückte Hadfield sein Sackmesser: „Ich bin damit sozusagen in die MIR eingebrochen.“ Dass er das kleine Rote bei sich hatte, war kein Zufall. Denn seit den 1970er-Jahren gehören Victorinox-Taschenmesser zur Grundausrüstung der NASA-Teams. Bewährt haben sich diese nicht nur im All, sondern auch auf Erden. Die Broschüre „Ein Begleiter fürs Leben“ enthält eine Vielzahl an Episoden, in denen menschliche Schicksale buchstäblich auf des Messers Schneide standen und die Victorinox-Messer wertvolle Helfer oder sogar Retter in Notlagen waren. Die Bandbreite reicht von lebensrettenden Luftröhrenschnitten bei Kleinkindern im Flugzeug über Notamputationen im afrikanischen Busch bis hin zur Reparatur von vereisten Sauerstofftanks im Himalaya.

Und wer hat’s erfunden? Ein Schwyzer! Karl Elsener, Jahrgang 1860, der vierte Sohn eines Hutmachers aus Schwyz. Nach Gesellenjahren in Paris und Süddeutschland fasste er 1884 zusammen mit anderen Schmieden den Plan, ein Messer für die Schweizer Armee zu entwickeln. Die 25 Kollegen gaben auf, als ein deutscher Konkurrent die Schneidegeräte viel günstiger anbot. Elsener machte weiter – und ging dabei beinahe in Konkurs. Nur dank Zuschüssen von Verwandten überlebte er. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Elsener tüftelte an einem Alleskönner, einem Gerät, das den Soldaten beim Essen ebenso nützlich war wie beim Zerlegen des Gewehrs. 1891 war es soweit: Er durfte sein klappbares Messer mit Büchsenöffner, Ahle und Schlitzschraubendreher der Armee liefern. Ein Jahr später beschäftigte seine Fabrik in Ibach bei Schwyz bereits dreissig Angestellte. Nebst den Schmieden waren es vor allem Frauen aus den umliegenden Dörfern, die in Heimarbeit mit dem Zusammensetzen der Einzelstücke zum Erfolg beitrugen.

Vom Souvenir zum Kultobjekt

Eine Frau spielte im Leben von Messerpionier Elsener eine besonders wichtige Rolle: seine Mutter Victoria. Nach ihrem Tod 1909 führte er zu ihrem Andenken den Markennamen Victoria ein. Ab 1921 wurden die Messer mit dem eben erfundenen rostfreien Stahl – Inox genannt – produziert. Aus der Verbindung der beiden Wörter „Victoria“ und „Inox“ entstand der heutige Firmen- und Markenname. Zehn Jahre später installierte die Firma Brown Boveri in Ibach die erste vollelektrische Härterei der Welt. Durch diese Automatisierung konnte eine konstant hohe Qualität sämtlicher Messer sichergestellt werden. Seinen weltweiten Siegeszug trat Victorinox nach dem Zweiten Weltkrieg an, als in Europa stationierte US-Soldaten die Taschenmesser in grossen Mengen einkauften und als Souvenir nach Hause brachten. Bald einmal avancierte das Swiss Army Knife zum Kultobjekt: Es fand sogar Aufnahme im Museum of Modern Art in New York, dem Walhalla der Designkunst.

Auf Rückschläge reagierte Victorinox stets mit bemerkenswerter Innovationskraft. Als beispielsweise nach den Terroranschlägen von 2001 das Sackmesser aus dem Handgepäck der Flugzeuge verbannt wurde und die Umsätze um einen Drittel einbrachen, forcierte die Firma die Diversifizierung ihres Angebots. Victorinox brachte Küchenmesser, Armbanduhren, Koffer, Rucksäcke, Reiseaccessoires und sogar eine Parfümlinie auf den Markt. Kerngeschäft bleibt jedoch das Sackmesser, von dem es über 400 verschiedene Modelle gibt.

Die Qualität zeigt sich auch bei einem Geheimnis: Nämlich demjenigen der Feder, die so gebogen ist, dass jedes Mal, wenn eine geöffnete Klinge wieder einschnappt, ein helles Klicken ertönt. Das Klicken entsteht durch die hohe Federspannung von bis zu 300 Kilogramm. Die Spannung hält ein Leben lang und lässt nicht nach. Die Konkurrenz hat bisher vergeblich versucht, dieses typische Merkmal nachzubauen. Wie Victorinox das schafft, ist das bestgehütete Geheimnis der Firma.

Text: Omar Gisler
Bilder: Helmut Wachter

ZWISCHENHALT: Vom Bahnhof Schwyz mit dem Bus hin und zurück, je 10 Minuten.

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