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Mitten durch die Reben

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Der Rebberg zwischen Wilen bei Wollerau und Freienbach SZ zieht an den Fenstern unserer Züge vorüber. Der Rebberg heisst Leutschen und einer, der dort Weintrauben anbaut, ist Stefan Kümin. Ein Besuch bei ihm ist eine Lehrstunde in Sachen Weinproduktion - mit anhaltendem Abgang.

Ein Geständnis vornweg: Ich bin Wein-Laie. Ich trinke ihn zwar gerne, habe aber nicht wirklich Ahnung davon und kaufe die Flasche, weil mir das Etikett gefällt oder ich den Wein kenne. Das gestehe ich Stefan Kümin, Geschäftsführer der Gebr. Kümin Weinbau und Weinhandel AG (Gebr. Kümin AG) auch gleich, als er mich kurz nach Mittag in Pfäffikon SZ am Bahnhof abholt. Er nimmt mich trotzdem mit.

Ostschweizer Auslese

Erste Station ist die Schlossanlage Pfäffikon, was mich irritiert. Die Gebr. Kümin AG ist doch in Freienbach beheimatet? Ist sie auch, klärt mich Stefan auch. Hier im alten Schlosskeller lagert bloss ein Teil des Weins. Und zwar der beste. Stefan öffnet die Türe zum Keller und sofort steigt einem der für alte Kellergewölbe typische feucht-modrige Duft in die Nase. Es ist kalt und dunkel. Die Wände sind mit Feuchtigkeitsschimmel bedeckt. Alles harmlos, beruhigt Stefan. Der Schimmel gehöre dazu.

In einem verchlossenen Teil des Kellers lagern 110 Barriques. Ein Barrique ist ein Eichenfass und diese hier sind aus Schweizer Holz. In den 110 Fässern ruhen etwa 25 000 Liter Wein, wobei die Literangabe variieren kann. Denn Wein verdunstet, während er lagert. Nämlich rund 5% pro Fass. Das ist viel. Deshalb, und weil Wein in Fässern mit zu viel Luft oxidiert, werden die Fässer immer wieder aufgefüllt. Im Winter mehr als im Sommer, wegen der trockenen Luft.

Nackte Triebe

Der Rebberg ist vom Etzel und Rossberg umgeben. Der Rossberg hält meist auch das schlechte Wetter ab, wobei er 2011 vor dem grossen Unwetter kapitulieren musste. «Das war kein gutes Weinjahr», sagt Stefan. «Mehr Glück hatten wir 2015.» Der Herbst war trocken und warm. Perfekte Bedingungen für die Trauben, um zu reifen. Inzwischen lagert der Wein aus diesen Trauben in grossen Tanks im Weinkeller der Gebr. Kümin AG. Da gehen wir auch gleich hin. Aber zuerst lasse ich mir zeigen, wie ein Rebstock aus der Nähe aussieht und wie er für den Frühling vorbereitet wird.

Im Winter wächst in den Rebbergen nichts. Zwischen November und März werden die Rebstöcke für die nächste Blüte bereit gemacht. Dazu gehört auch das Schneiden der Reben. Die Winzer befreien die Fruchtrute, die sie bereits im Vorjahr ausgewählt haben, von unnötigen Trieben. Gleichzeitig bestimmen sie die Fruchtrute fürs nächste Jahr und kürzen sie auf ein paar Zentimeter. Die Fruchtrute fürs aktuelle Jahr behandeln sie sehr behutsam, denn die Knospen, oder Augen, aus denen die Früchte wachsen, sind sehr empfindlich. Wenn der Rebstock gestutzt ist, biegen die Winzer die Fruchtrute in die Waagrechte und binden sie an einen Draht. Jetzt fehlt nur noch die Sonne, und das Wachsen der Triebe kann beginnen.

Eigener und fremder Wein

800 Mannstunden pro Jahr stecken in einem Hektar Rebberg. Der Leutschen ist etwa 22 Hektar gross. 5,3 Hektar bewirtschaftet die Gebr. Kümin AG, die restlichen Reben hegen andere Grundbesitzer, unter ihnen das Kloster Einsiedeln. Ja, auch Mönche mögen Wein. Einer der Brüder des Benediktinerklosters, Pater Gall Morel, ist sogar mit einem Spruch auf dem Etikett des Leutschner Weins verewigt: «Sag an, wo ist dein Vaterland, ist’s Limmatthal, der Rhone Strand? Verzeiht Ihr Welschen und Ihr Deutschen, ich bin von hier, ein Schwyzer, ab der Leutschen.»

Die Gebr. Kümin AG kultiviert am Leutschen verschiedene Traubensorten, hauptsächlich Pinot noir und Riesling-Silvaner. Auch Spezialitäten wie Solaris, Freisamer oder Sauvignon blanc wachsen hier. Verarbeitet werden im Weinkeller nicht nur eigene Trauben. Die Gebr. Kümin AG ist die grösste Traubenaufkäuferin und -verarbeiterin der Region. Das stelle ich beeindruckt fest, als wir im Betrieb ankommen. 850 000 Liter Wein lagern im fast eisigen Keller, in riesigen und weniger grossen Tanks. Im Herbst, wenn die Trauben geerntet werden, herrscht auf dem Vorplatz vor Stefans Keller Hochbetrieb. Ein Weinbauer nach dem anderen bringt die Lese vorbei. 40 000 bis 50 000 Kilogramm Trauben pro Tag werden abgebeert und gemaischt. Und je nachdem, ob daraus ein Rot- oder Weisswein entstehen soll, weiterverarbeitet, in Flaschen abgefüllt, etikettiert und zwischengelagert.

Fruchtiges in Nase und Gaumen

Dass die Farbe der Traubenhaut nicht darauf schliessen lässt, was für eine Farbe der Wein hat, erfahre ich bei einer spontanen Degustation. Stefan und ich sitzen an einem Bartisch, der aus einem Eichenfass gemacht ist. Das Holz fühlt sich weich an. Man erkennt sogar noch die rötliche Verfärbung durch den Wein. An einem Pinot gris oder Grauburgunder – einem Weisswein, dessen Trauben rötlich-grau gefärbt sind – bringt mir Stefan das Degustieren bei. Ich halte das Weinglas am Stiel zwischen zwei Fingern meiner rechten Hand und schwenke es gegen den Uhrzeigersinn, also so, dass der Duft in meine Richtung weht. Dann steck ich die Nase ins Glas. Bouquet heisst das, was man riecht. Nun müsste ich eigentlich etwas Schlaues sagen, wie «Ich rieche Lychées.», aber ganz ehrlich, ich rieche einfach nur Wein. Degustieren könne man trainieren, beruhigt mich Stefan. Und das Geschmacksempfinden sei sehr subjektiv. Rieche ich also Lychées, muss das nicht für andere Weingeniesser gelten.

Als Nächstes setze ich das Glas an meine Lippen und nehme einen Schluck, während ich gleichzeitig Luft einsauge. Die ersten Tropfen lasse ich ein paar Sekunden im Mund und verteile sie mit der Zunge. Nun wird der nächste Sinn angesprochen. Ist der Wein süss, sauer, bitter? Unserer ist säuerlich und müsste mich auf der Zunge laut Charakterbeschrieb an Limetten erinnern. Auch das erkenne ich leider nicht. Zuletzt, als ich den Wein runterschlucke, beobachte ich, wie rasch der Nachgeschmack des Weins in meinem Gaumen abklingt. Abgang, nennt man das, oder Finale. Und endlich habe ich das Gefühl, dass ich etwas bemerke. Könnte aber auch der Alkohol sein, der mir so früh am Nachmittag schnell zu Kopf steigt.

 

Text und Bilder: Claudine Roth

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Dieser Beitrag stammt aus unserem Magazin "Schriftzug". Lust zum Weiterlesen? Abonnieren Sie den Schriftzug kostenlos und erhalten Sie das Magazin zweimal jährlich per Post zugeschickt.

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