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Auf zu neuen Ufern

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Flüsse waren und sind vor allem als Verkehrswege für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung von grosser Bedeutung. Die Südostbahn benennt ihre zweite Fernverkehrslinie nach zwei der 72 Schweizer Flüsse, die sie auf dem Weg von Bern über Zürich nach Chur begleiten: Aare Linth, die schönste Verbindung zwischen Stadt, Land und Fluss.

Wie in einer sanften Umarmung legt die Aare ihre Schlaufe um die Bundeshauptstadt Bern, deren Altstadt seit 1983 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Und diese Flussschlaufe, die die Altstadt von drei Seiten schützt, war im Mittelalter überlebenswichtig. Bern ist eine der vielen Städte, die an verkehrsgeografisch günstigen Orten gegründet wurden. Bis ins späte Mittelalter waren Flüsse die Lebensadern der Menschen. Sie dienten als natürliche Strassen dem Warentransport und dem Handel sowie der Wasserversorgung. Durch den Landverkehr zunehmend konkurrenziert, wurde hierzulande die Flussschifffahrt nach 1850 weitgehend von der Eisenbahn zum Verschwinden gebracht. Doch noch heute verbinden Flüsse Kantone, Länder, Menschen und Kulturen.

Mystischer Fluss mit Kultstatus

Die Bernerinnen und Berner lieben ihren Fluss. Die Aare, in den Aaregletschern im Berner Oberland geboren, ist mit 288 Kilometern Länge der längste innerschweizerische Fluss. Sie durchquert die drei Kantone Bern, Solothurn und Aar(e)gau sowie vier Seen.

«Nume nid gschprängt!»

Die Aare hat vor allem im Sommer Hochsaison. Das Aareschwimmen ist seit 2017 auf der Liste der lebendigen Traditionen der UNESCO aufgeführt und gehört somit zum immateriellen Kulturerbe der Schweiz. Tausende tummeln und erfrischen sich in dieser Zeit tagtäglich in der Aare. Sie lassen sich treiben oder «pendeln» zur Arbeit. Auf der Internetseite von Bern Welcome gibt es interessante Fakten und witzige Anekdoten zur Aare, etwa, dass man munkelt, die gemütlichen Bernerinnen und Berner schwimmen so gerne in der Aare, damit sie auch mal etwas schneller vorwärtskommen. Bei der durchschnittlichen Fliessgeschwindigkeit der Aare von fünf bis sieben Stundenkilometern sind die Hauptstädter dann nämlich flotter unterwegs als die Zürcher, die laut einer wissenschaftlich belegten Studie der ETH zu Fuss pro Stunde durchschnittlich 317 Meter flinker sind als Berner.

Diese Fliessgeschwindigkeit machen sich auch die «Böötler » zunutze. 500 sollen es im Hochsommer sein, die – pro Stunde! – zwischen Thun und Bern einwassern. Mit 1 268 Gummibooten, die zur gleichen Zeit auf diesem Herzstück der Aare im Wasser waren, wurde im Jahr 2012 ein Weltrekord aufgestellt.

Schönster Badefluss der Welt

Nicht nur die Bernerinnen und Berner schwärmen von ihrem Fluss. Die Aare hat mit «Aare Guru» eine eigene App und der Bericht «20 of the world’s best places for swimming » des US-Nachrichtensenders CNN beschreibt die Aare als den vielleicht schönsten Fluss zum Schwimmen.

Spazieren, grillieren, dinieren, frieren

In, auf und an der Aare ist immer was los, auch in der kalten Jahreszeit, denn die Mitglieder des «Gfrörli-Club» lassen sich auch von Wassertemperaturen von drei Grad Celsius nicht abschrecken – einzig in Jahren wie diesem, wenn anhaltender Regen den Sommer ertränkt und sich die Aare im braunen Kleid über die Ufer ergiesst, halten selbst die grössten Fans respektvoll Abstand.

Man muss keine Wasserratte sein, um an der Aare auf seine Kosten zu kommen. Sie hat auch wasserscheuen Genussmenschen viel zu bieten. Beliebt sind Spaziergänge und Ausflüge zu den zahlreichen Naherholungsgebieten und Grillplätzen entlang der grünen Aare.

Es grünt so grün

Warum ist die Aare eigentlich so (milchig) grün? Dies hat mehr mit Physik als mit Mystik zu tun: Je mehr (Schmelz-) Wasser von den Gletschern fliesst, desto grüner ist sie. Dieses Gletscherwasser führt Sandpartikel und Abschliff von Felsen mit. Deshalb ist die Aare nur in der kalten Jahreszeit wirklich klar. Auch das Licht und die Algen auf den Steinen im Flussbett spielen für die Farbgebung eine wichtige Rolle.

Alles fliesst

Sie gurgeln, murmeln, flüstern, plätschern, rauschen, tosen – die Fliessgewässer. Wie viele es in der Schweiz gibt, kann selbst das Bundesamt für Landestopografie swisstopo nicht genau beziffern. Die Bestimmung hängt von der Definition eines Wasserlaufs ab. Aber die Zahl der im Gewässerinformationssystem Schweiz nummerierten Bäche und Flüsse ist bekannt: Rund 55 000 haben eine Nummer, davon etwa 5 700 einen Namen.

«Stille» Begleiter

Zählt man alle fliessenden Gewässer, die näher als 250 Meter an der 236 Kilometer langen Fernverkehrslinie der SOB von Bern bis Chur verlaufen, sind es 72.

Ein Blick durchs Zugfenster lohnt sich allemal. Auf dem Weg von Bern nach Zürich ist die Aare gleich mehrmals zu sehen und vor Zürich ist die Limmat gut sichtbar. Richtung Chur fährt der Zug dann entlang der Linth, die er überquert, bevor sie in den Walensee fliesst.

Vom Sumpfgebiet zur nutzbaren Fläche

Bekannt dürfte die 37 Kilometer lange Linth vor allem durch die Linthkorrektion sein. Mit der Regulierung des Flusses wurde die Überschwemmungsgefahr gebannt, das Sumpfgebiet, in dem die Malaria grassierte, trocken gelegt und fruchtbares Land gewonnen. Hans Conrad Escher (von der Linth – diesen Ehrennamen bekam er vom Kanton Zürich verliehen) übernahm 1804 die Leitung des Korrektionsprojekts. Der Escherkanal leitet die Glarner Linth in den Walensee und anschliessend durch den Linthkanal zum Zürichsee.

Escher ist nicht gleich Escher

Hans Conrad (1767–1823) ist nicht der Escher, der die Gotthardbahn gebaut hat. Das war Alfred Escher (1819–1882), Mitbegründer der Schweizerischen Nordostbahn, die für den Bau der Bahnlinie von Glarus bis Linthal verantwortlich war. Die beiden Eschers werden oft verwechselt. Sie sind miteinander verwandt und stammen beide aus dem Zürcher Patriziergeschlecht Escher vom Glas.

Das Tor zur Welt

Nach dem Walensee führt die Strecke entlang der Seez Richtung Sargans. Von dort bis Chur prägt der Rhein das Landschaftsbild.

So unterschiedlich die Flüsse zwischen Bern und Chur in ihrer Herkunft und Art sind, am Ende sind sie alle vereint: Die Linth, die beim Ausfluss aus dem Zürichsee ihre Reise als Limmat fortsetzt, mündet bei Brugg, dem sogenannten Wasserschloss der Schweiz, in die Aare. Und bei Koblenz vermählt sich die Aare mit dem Rhein. Sie gibt ihren Namen auf, obwohl sie beim Zusammenfluss mehr
Wasser mitführt.

Noch rund 850 Kilometer trennen den Rhein ab Basel von der Nordsee. Ab hier sind die Boote grösser. Der Fluss ist zum Strom gewachsen und trägt Container- und Flusskreuzfahrtschiffen nach Rotterdam; der Seehafen der niederländischen Stadt zählt zu den grössten der Welt.

Über 300 Schweizer Flüsse und Bäche fliessen direkt in den Rhein und speisen so eine der wichtigsten Wasserstrassen Europas, – sie verbinden Länder, Menschen und Kulturen.

Text: Claudia Krucker
Bilder: Bern Welcome, Mauel Lopez, Amden & Weesen Tourismus

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