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Auf der Spur des weissen Golds

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Mein Ziel ist heute ein ganz Besonderes. Es befindet sich im äussersten Winkel der Ostschweiz: Diepoldsau. In den frühen Morgenstunden mache ich mich auf den Weg. Rund zwei Stunden später werde ich zum Amüsement der Kolleginnen und Kollegen mit stark verschmutzten Stiefeln wieder im Büro in St. Gallen eintreffen. Im Gepäck sind viele neue Erkenntnisse und ein Appetit auf Spargel.

Der Rheintaler Spargel ist landesweit bekannt und beliebt. Interessante Details über dessen Anbau erfahre ich auf einer Betriebsführung von Simon Lässer, dem Betriebsleiter des Fahrmaadhofs. Der Diepoldsauer ist diplomierter Agrarwissenschaftler der ETH Zürich und kann sämtliche Fragen zum Thema Spargel sachkundig beantworten. Er kennt den Hof und die Spargelproduktion in- und auswendig.

Vom Pflänzchen zum weissen Gold

Der Fahrmaadhof produziert pro Saison rund 60 Tonnen weissen Spargel. Die Erntesaison beginnt meist im April, je nach Jahr auch früher. Die frühe Ernte des Schweizer Spargels erlaubt es dem Bauern den Importspargel zu konkurrenzieren.

Bevor es allerdings zum Genuss des zarten Gemüses kommt, sind einige Vorarbeiten zu leisten: Die für den weissen Spargelanbau typischen Dämme müssen im späten Winter über den mehrjährigen Pflanzen aufgebaut werden. Der Spargelbauer häuft diese mit einer speziellen Maschine auf und deckt sie mit einer Plastikfolie ab. Diese Folie verfügt über zwei unterschiedlich farbige Seiten, eine schwarze und eine weisse. Zu Beginn der Wachstumsphase deckt der Bauer die Dämme mit der schwarzen Seite nach oben ab. Dies sorgt für die Assimilation von Sonnenlicht und führ mehr Wärme im Boden. Über diese Folie kommt zunächst ein Minitunnel, wie man ihn vom Garten zuhause kennt. So herrschen ideale Temperaturen, um das Wachstum zu beschleunigen und um rund eine Woche früher ernten zu können. Die Folie wird erst auf die weisse Seite nach oben gedreht, wenn zum Beispiel die Temperatur zu hoch sind dafür rund 5000 Laufmeter Plastikfolie notwendig. Eine Beheizung wie sie andernorts üblich ist, betreibt der Fahrmaad hof nicht. Dies ist nicht nötig und ausserdem zu energie- und kostenintensiv.

Steckzeit

Sind diese Vorarbeiten getan, schlummert der Spargel im Frühling vor sich hin, und es gibt keine weiteren grossen Aufwände für den Spargelbauer. Er darf nur den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen, zu dem er mit dem Stechen anfangen soll. Meistens dauert es vier Wochen zwischen Dammerstellung und Erntestart.

Sobald der Spargel reif ist, kommt ein Heer von Erntehelfern fürs Stechen des Spargels zum Einsatz: Den weissen Spargel muss man im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Damm «rausstechen». Dies machen die Erntehelfer mit einem langen Messer, das eine gebogene zweizündige Spitze hat. Praktisch im Sekundentakt wird das weisse Gold aus rund 25 bis 30 cm Tiefe aus der Erde befördert. In einer Kiste, die über ein Etikett mit EAN-Code verfügt, sammeln die Erntehelfer die Stangen. Mit diesem Code ist beim Sortieren erkennbar, welche Person auf welchem Feld den Spargel geerntet hat.

Spargel trifft auf Hightech

Mehrmals täglich kommt der Spargel direkt von den verschiedenen Feldern in das Betriebsgebäude. Dort ist das Sortierpersonal an einer silbern blitzenden Sortiermaschine mit langen Fliessbändern emsig am Arbeiten. Zu Beginn kommt der Spargel samt EAN-Code-Kiste in ein Wasserbad. Der Code wird per Scanner eingelesen. Das Wasserbad dient nicht nur der Reinigung, sondern in der Kiste wird der Spargel aufgeschwemmt. So ist das Gemüse für das Personal leichter greifbar, und es entsteht weniger Bruch.

Die Arbeitenden legen daraufhin den Spargel händisch und einzeln in die Sortiermaschine ein. Das eine Förderband transportiert den Spargel auf ein weiteres. In dieser durch das Hiefen stattfindenden «Miniflugsequenz» von einem Sortierband auf das andere wird das Gemüse binnen Sekunden von acht Kameras begutachtet und qualifiziert. Die Kameras erkennen zum Beispiel, ob der Spargel braun oder der Kopf offen ist, welche Dicke er hat, ob er krumm ist usw. Sobald der Spargel auf der anderen Seite der Sortiermaschine angelangt ist, reiht ihn die Maschine vollautomatisch nach Kaliber bzw. Qualität ein. Genau an der Stelle, wo der Spargel in eine Kiste mit bestimmten Qualitätskriterien kommen soll, macht die Maschine eine Klappe auf, und der Spargel landet erneut in einem separaten Wasserbad, woraus er vom Sortierpersonal entnommen wird.

Wow! Wer hätte gedacht, dass so viel Aufwand hinter der Spargelproduktion steckt? Langsam sind für mich die Preise dieses saisonalen Verkaufsständen in der Umgebung. Dort kostet das Kilo für die erste Qualität im Schnitt zirka 18.50 Franken. Andere Bauernhofläden, Handelsketten, Hotels und Restaurants im Raum Ostschweiz sind ebenfalls Abnehmer.

Pikantes

So lange und technologieunterstützt ist also der Weg des Spargels in unseren Mägen. Apropos Magen: «Warum wird der Toilettengang nach dem Spargelverzehr eigentlich von einem markanten Geruch begleitet?», möchte ich abschliessend wissen. Herr Lässer lacht und erklärt: «Es handelt sich nicht um Schadstoffe, sondern um die sogenannte Asparaginsäure. Diese scheidet der menschliche Körper unmittelbar nach dem Spargelgenuss über die Nieren aus.» Er glaube übrigens nicht an eine reinigende Wirkung. Das Ausscheiden der Asparaginsäure suggeriert dem Menschen vielleicht, dass etwas abgestossen wird, was der Körper loswerden will, aber mehr ist es nicht.

Ganz zum Schluss zwei letzte Fragen: Wie mag der Spargelprofi eigentlich das weisse Gold am liebsten, und mag er es überhaupt? «Ja, ich habe Spargel sehr gern. Am liebsten ganz klassisch mit Schinken und Sauce hollandaise», erzählt Simon Lässer. Mein Appetit auf Spargel ist damit auf jeden Fall geweckt.

Text und Bilder: Nicole Baró-Wolf

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