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Wo sind sie geblieben?

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Im Juni 2019 verkehrte der erste kupferfarbene Traverso als Voralpen-Express zwischen St. Gallen und Luzern. Nach und nach waren weniger Fahrzeuge der alten Voralpen-Express-Flotte auf dieser Linie zu sehen, bis sie im Dezember 2019 ganz verschwanden. Inzwischen wurde dem alten Rollmaterial andernorts neues Leben eingehaucht.

Mit der Ablösung des Rollmaterials im Jahr 2019 ging bei der Südostbahn eine 22 Jahre alte Ära zu Ende. Mehrheitlich sind die Fahrzeuge trotz einer beachtlichen Anzahl Jahre auf dem Buckel noch intakt. Die SOB suchte aufgrund technischer und gesetzlicher Auflagen Käufer für die alte Voralpen-Express-Flotte. Die alten Wagen entsprechen nicht dem Behindertengleichstellungsgesetz und die Triebfahrzeuge verfügen nicht über ein Europäisches Zugbeeinflussungssystem (ETCS), das für den Betrieb über den Gotthard benötigt wird.

Nach diversen Gesprächen im In- und Ausland machte die SOB schliesslich neue Besitzer aus. Insgesamt verkaufte die Südostbahn 32 Wagen und 10 Lokomotiven

Der Ursprung der Revvivo-Wagen

Die Fahrzeuge wurden als Einheitswagen in den Jahren 1956 bis 1964 für die SBB bzw. die Bodensee-Toggenburg-Bahn (BT) gebaut. Stadler Rail renovierte die Fahrzeuge Ende der 1990er- bis Anfang der 2000er-Jahre im Zuge einer Flottenumstellung im Voralpen-Express auf die heutigen Revvivo-Wagen. Im Jahr 1997 transportierten die modernisierten Wagen die ersten Passagiere auf der Strecke Romanshorn–Luzern.

Mit dem Fahrplanwechsel 2019/2020 verkehrte 22 Jahre später der letzte Voralpen-Express aus dieser Flotte. Die gesamte Lebenszeit der Fahrzeuge beträgt bereits mehr als 60 Jahre. «Rollmaterial, das so lange im Einsatz ist, werden wir sehr wahrscheinlich nie mehr haben», so Andreas Gerber, ehemaliger Mitarbeiter Beschaffung Rollmaterial bei der SOB.

Einsatz an der französischen Atlantikküste

Im Dezember 2019 übergab die Südostbahn vier Wagen des Typs Revvivo an die französische Museumsbahn «Le Train des Mouttes». Sie betreibt den «Seudre Océan Express» an der französischen Atlantikküste, wo das Rollmaterial als Salon- und Speisewagen eingesetzt wird.

Neue Bedürfnisse im Ausland brachten Änderungen am Wagenmaterial mit sich: Der «Seudre Océan Express» in Frankreich wird mittels Dieselmotor-Generatoreinheit mit elektrischer Energie versorgt, die in einem separaten Wagen untergebracht ist. So passte die französische Museumsbahn das Rollmaterial entsprechend den technischen Vorgaben an und gab den Fahrzeugen eine neue Farbe sowie neue Namen. Die vier Wagen tragen heute die Namen von Leuchttürmen des Departements Charente-Maritime: «Cordouan», «La Coubre», «Vailières» und «Chassiron».

Unterwegs in Ungarn

Zug um Zug ging es im Frühjahr 2020 mit dem Verkauf des Rollmaterials weiter: Mitte April fuhren 16 Revvivo-Wagen zum neuen Besitzer «MÁV Rail Tours» nach Ungarn. «Ein sehr spezieller Moment: Noch nie haben wir einen solch langen Zug geführt», sagt Andreas Gerber. Die 16 Wagen erreichten eine Zuglänge von rund 400 Metern. Im Vergleich: Fährt der Traverso als Doppeltraktion – also mit zwei zusammengekoppelten Kompositionen, ist dieser «nur» 300 Meter lang. Trotzdem habe alles reibungslos funktioniert, betont Gerber. Die Übergabe weiterer vier Fahrzeuge an die «MÁV Rail Tours» folgte im Sommer 2020. Im Frühling/Sommer 2021 wurden die letzten drei Revvivo-Wagen an die «MÁV Rail Tours» überführt, womit die Veräusserung nach Ungarn definitiv abgeschlossen war.

Die Lokomotiven

Parallel zum Verkauf der Wagen nach Frankreich und Ungarn veräusserte die SOB vier ihrer Lokomotiven an die Eisenbahndienstleister GmbH in Thayngen, für die sie nun Güterzüge durch die Schweiz führen. Später fanden mit dem Verkauf von jeweils zwei Lokomotiven an die Sihltal Zürich Uetliberg Bahn (SZU), an die BRM Investment AG in Frauenfeld und an den Verein Depot und Schienenfahrzeuge Koblenz (DSF) sechs weitere Fahrzeuge eine neue Heimat. Neben den zwei Lokomotiven kaufte der DSF einen Wagen aus der alten Voralpen-Express-Flotte.

Historische Fahrzeuge erhalten

Seit Herbst 2020 ist auch der 1.-Klasse-Salonwagen «Bodan» wieder auf den Schienen unterwegs. Das Fahrzeug ist in seinem originalen Erscheinungsbild von 1991 für den Verein Historische Mittel-Thurgau-Bahn (VHMThB) im Einsatz. Der Verein setzt sich für den Erhalt historischer Fahrzeuge mit Bezug zum Kanton Thurgau ein.

Übungsobjekte und Endstation

Die Südostbahn fand für drei weniger beliebte unklimatisierte Fahrzeuge ebenfalls Abnehmer. Diese Wagen gingen als Übungsobjekte an die Feuerwehr und den Zivilschutz (UFZ) in Seewen (SZ), an eine SBB-Betriebswehr und an die Betriebsfeuerwehr der EMS Chemie Domat-Ems. Lediglich neun Wagen der alten Flotte musste die SOB ausrangieren.

Die Reise geht weiter.

Dank dem Verkauf der alten Voralpen-Express-Flotte konnte das Team des Flottenmanagements einen bedeutenden ökologischen sowie wirtschaftlichen Beitrag leisten. Für alle zum Verkauf gestandenen Wagen und Lokomotiven werden die Weichen an einem anderen Ort gestellt.

Text: Jeannine Fisch
Bilder: Le Train des Mouettes, MÁV Rail Tours, Andreas Gerber
Video: MÁV Rail Tours

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