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Wie die SOB-Züge wieder nach Hause kommen

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Täglich legen die Traverso- und die Flirt-Züge der SOB Tausende Kilometer zurück und sind trotzdem rechtzeitig für Reinigung und Wartung wieder «Daheim». Damit dies reibungslos gelingt, braucht es jahrelange Planung – und Anpassungen in letzter Sekunde.

Ihre Bühnen sind spektakuläre Landschaften und die Bahnhöfe in grösseren und kleineren Schweizer Städten. Doch damit die Züge bei ihrem Auftritt glänzen, braucht es viel Arbeit «zu Hause». «Daheim» ist die Flotte der Südostbahn in Herisau und Samstagern. In den beiden Service-Zentren im Kanton Appenzell Ausserrhoden und im südlichsten Zipfel des Kantons Zürich werden werden die Traverso und die Flirt der SOB instand gehalten. Während Herisau und Samstagern zwar an den Linien des Voralpen-Express und einzelner S-Bahnen liegen, sind die Züge der Fernverkehrslinien «Treno Gottardo» und «Aare Linth» auf ihren Fahrten zum Teil weit entfernt von der Basis.

Hinter den Kulissen haben die SOB-Planer ein ausgeklügeltes System entwickelt, wie die Züge effizient «nach Hause» kommen. Nachts ist Rollentausch angesagt: Dann verwandelt sich ein Treno Gottardo in einen Voralpen-Express oder am frühen Morgen wird aus einem Aare Linth-Traverso ein Zug, der Richtung Gotthard unterwegs ist.

Zug braucht Gegenzug

Dahinter steckt jedoch keine Magie, sondern jahrelange Erfahrung und etwas Denksport. Die sogenannte Angebotsplanung beginnt dabei schon lange, bevor ein Zug fährt: Stück für Stück wird so aus dem Fahrplanangebot ein sogenannter Umlaufplan für die Fahrzeuge. Thomas Meier, Leiter der SOB-Transportplanung und früher selbst Angebotsplaner, erklärt das Vorgehen so: «Die Fahrpläne definieren die Fahrzeiten von der ersten bis zur letzten Verbindung. Nun wird mithilfe einer simplen Excel-Tabelle gezählt, wie viele Fahrzeuge es täglich braucht, um dieses Angebot fahren zu können – beim Treno Gottardo sind es etwa deren neun.» Danach kommen weitere Überlegungen dazu: Reicht eine Komposition oder braucht ein Zug aufgrund der zu erwartenden Passagierzahlen eine Verstärkungseinheit? Und Thomas Meier sagt: «Alle Züge müssen verpaart unterwegs sein.» In eine Richtung 12 Züge pro Tag anzubieten und in die Gegenrichtung 13, das funktioniere nicht, ergänzt er. Sonst fehle am nächsten Tag irgendwo ein Zug oder er werde für teures Geld – weil ohne Passagiere unterwegs – an seinen Bestimmungsort geführt. Was sich Mietwagenfirmen bei «One-Way»-Buchungen von Privatkunden üppig bezahlen lassen, kann die Bahn nicht einfach so eintreiben. Die effiziente Transportplanung hat deshalb auch finanzielle Aspekte.

Ab in die Werkstatt

Weil Züge aber instand gehalten werden müssen, haben Thomas Meier und sein Team auch diese Thematik zu berücksichtigen. Wie beim Auto müssen die Züge regelmässig in den Service. Alle 25000 bis 30000 Kilometer findet die Grundinstandhaltung statt – etwa die Kontrolle der Räder und Drehgestelle. Weitere viertel- und halbjährliche Arbeiten wie die Überprüfung der Stromrichter und Trafos auf dem Dach kommen hinzu. Als Folge dieser Vorgaben muss das Team von Thomas Meier die Züge der Interregio-Linien Treno Gottardo und Aare Linth regelmässig in die Service-Zentren zurückführen lassen, sodass sie die Instandhaltungsfrequenz einhalten können und gleichzeitig möglichst selten leer ausserhalb des Fahrplans nach Herisau oder Samstagern fahren. Der Spielraum für Instandhaltungsarbeiten beträgt gerade einmal drei Tage.

Aufgrund der Knotenpunkte zwischen den einzelnen Linien ergeben sich Berührungspunkte, wo über Nacht der Fahrzeugtausch auf andere Linien stattfindet und die Züge so den Weg auf die Stammstrecke zwischen Luzern und St.Gallen – und damit den Weg in die Service-Zentren – finden. Endet der Dienst eines Fahrzeuges des Voralpen-Express abends in Luzern, ist es möglich, dass es am nächsten Tag ab Luzern eine Frühverbindung des Treno Gottardo Richtung Basel übernimmt und ist danach Richtung Tessin unterwegs oder der Treno Gottardo hat dann auf den Voralpen-Express gewechselt. Nach ähnlichem Prinzip tauschen die Fahrzeuge auch in Zürich, Pfäffikon SZ und Rapperswil die Linien.

Die Krux mit den Baustellen

Die Fahrzeugumläufe wären wohl perfekt, wenn nicht Baustellen die Planungen regelmässig durcheinanderwirbeln würden. Die Transportplaner haben einige Monate Vorlaufzeit, angepasste Dienstpläne für alle Fahrzeuge der SOB-Flotte anzufertigen.

Thomas Meier und sein Team tun dies quasi «virtuell» aufgrund aller verfügbaren Fahrzeuge. Ob der Flirt «Gurten» oder der Flirt «Zimmerberg» aber um 8 Uhr von Wädenswil nach Einsiedeln fährt, das entscheidet ein anderes Team. Hier kommen Hansueli Baltensperger und seine Kolleginnen und Kollegen von der Transportleitstelle ins Spiel. Sie «jonglieren» im Tagesgeschäft mit den tatsächlich einsetzbaren Fahrzeugen und teilen die konkreten Fahrzeuge den geplanten Diensten zu.

«Eine Sperrung oder Störung am Streckenanfang oder -ende ist in der Regel einfacher zu ‹händeln› als ein Streckenunterbruch», sagt Baltensperger. Wird am Endpunkt einer Linie gebaut, lässt man Fahrzeuge früher zurückfahren – beim Treno Gottardo fahren die Züge von Zeit zu Zeit etwa nur von und nach Olten statt Basel. Anspruchsvoll wird es bei Baustellen inmitten einer Strecke wie beim Voralpen-Express zwischen Rapperswil und Uznach im kommenden Jahr: Fahrzeuge wenden an zwei Orten auf beiden Seiten der Baustelle. Ausserdem erreichen einige Züge über mehrere Wochen das Service-Zentrum Herisau nicht, weil wegen der Baustelle die direkte Zufahrtsroute «nach Hause» gesperrt ist. Dann werden nicht nur die Fahrzeuge umdisponiert, sondern auch gewisse Service- und Reinigungsarbeiten andernorts durchgeführt. Das reduziert die Flexibilität im Störungsfall.

Umsteigen statt Ausfall

Läuft kurzfristig etwas nicht nach Plan, fällt die Vorlaufzeit fast gänzlich weg. Jeden Morgen besprechen die Transportleitstelle und das Team der Instandhaltung gemeinsam an der Sitzung «Störungskoordination», welche Probleme bei Fahrzeugen neu vom Zugpersonal gemeldet worden sind und wie diese möglichst rasch behoben werden können. Ein beschädigter Papierkorb kann störend sein, beeinträchtigt aber den Betrieb nicht. Ein solches Problem muss deshalb warten. Defekte Türen und Toiletten sind problematischer. «Weil die Fahrzeuge nicht mehr dauernd vor der Türe in Samstagern oder Herisau vorbeifahren, ist die Ausgangslage mit dem Fernverkehr anspruchsvoller», sagt Baltensperger.

Lösen Servicetechniker Probleme nicht nachts oder an Halteorten, wird das Fahrzeug für die Reparatur «eingetaktet». Baltensperger und sein Team führen dann in Arth-Goldau einen «Pendelwechsel» durch. Hier steht in der Regel ein Reserve-Traverso bereit, der in solchen Fällen zum Einsatz kommt. Die Reisenden verlieren dadurch etwas an Komfort, weil sie ausserplanmässig – aber trotzdem pünktlich – vom einen in den anderen Traverso wechseln müssen. Das ist aber die bessere Variante, als einen Defekt nicht zu beheben und so einen Zugausfall zu riskieren. Das würde den Fahrgästen mehr Ärger bescheren – und selbst am Berufsstolz aller Beteiligten kratzen.

Text: Conradin Knabenhans
Bilder: Conradin Knabenhans, Markus Schälli

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