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Betriebsstörungen im Bahnverkehr in Echtzeit lokalisieren

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Eine der häufigsten Ursachen bei Verspätungen im Bahnverkehr sind Betriebsstörungen. Als Innovationstreiberin erprobt die Südostbahn in einem Pilotprojekt die metergenaue Lokalisierung von Störungen entlang ihrer Bahnstrecke, damit eine blockierte Bahnstrecke so rasch als möglich wieder befahren werden kann.

Starker Schneefall, umgestürzte Bäume, durch Böen herumwirbelnde Gegenstände, die sich in der Fahrleitung verfangen, oder auch Blitzeinschläge können eine Störung im laufenden Bahnbetrieb auslösen. Der betroffene Streckenabschnitt wird bei einem solchen Ereignis aus Sicherheitsgründen gesperrt und die Reisenden über die Verzögerung im Bahnverkehr informiert. Die umgehend eingeleitete Suche nach der Fehlerquelle durch den Pikettdienst der Südostbahn sowie die anschliessende Behebung nehmen viel Zeit in Anspruch. Kommt es beispielsweise in einer Fahrleitung zwischen Wattwil und Nesslau Neu-St.Johann zu einem Kurzschluss, dauert die genaue Ortung der Schadstelle oft länger als die Reparaturarbeit selbst.

Ortung von Schäden in Echtzeit

Heute setzt die Südostbahn Streckenläufer und Gleismesswagen ein (lesen Sie dazu auch unseren Artikel «Zu Fuss den Gleisen nach»), die den Fahrwegzustand erfassen. Ihre Aufgaben sind es, die SOB-Bahnstrecken auf Veränderungen und Beschädigungen zu prüfen und bei Bedarf die notwendigen Vorkehrungen einzuleiten, um Betriebsstörungen zu vermeiden. Gefragt sind neue Lösungen, um Stillstände im Bahnbetrieb in kürzester Zeit zu beheben. Deshalb testet die SOB seit Juni 2022 in einem Versuchsbetrieb eine weitere Möglichkeit zur frühzeitigen und vor allem präzisen Ortung von Schwachstellen oder Störungen. Thorsten Sennhenn, Technologiemanager bei der Südostbahn, erklärt dieses Pilotprojekt: «Die Südostbahn erprobt eine neue Technik, die präzise Daten zum Streckenzustand liefert – und das in Echtzeit.» Thorsten Sennhenn sieht die Idee, die bestehenden Lichtwellenleiter (LWL) entlang der SOB-Strecke für erweiterte Zwecke zu nutzen, ohne grosse zusätzliche Investitionen zu tätigen, als einen grossen Pluspunkt dieses Pilotprojektes.

Sensoren erkennen Schall und Vibration

Eine freie Faser eines bereits für die Bahnkommunikation eingesetzten Lichtwellenleiters detektiert Schallwellen durch Lichtimpulse. Dies mit der Unterstützung einer sogenannten DAS-Technologie (Digital Accoustic Sensing/digitale Schallsensorik). Eine Technologie, die noch nicht weit verbreitet ist. Die Faser des Lichtwellenleiters ist in der Lage, die als Schallwellen empfangenen Impulse über weite Strecken zu erkennen – im maximalen Fall bis zu 70 Kilometer. DAS erfasst dabei alle Körperschallwellen und Vibrationen entlang der überwachten Bahnstrecke. Auftretende Vorkommnisse lösen solche Vibrationen aus und versetzen den Boden in Schwingungen: beispielsweise ein Zug, der über das Gleis fährt, ein Schaden im Gleisbett, der eine Änderung des regulären Musters bei der Durchfahrt auslöst, oder ein Kurzschluss in einer Fahrleitung, der einen lauten Knall erzeugt. Die durch diese Geräusche entstandenen Schwingungen versetzen auch das im Boden verlegte Lichtwellenleiterkabel in minimale Schwingungen, die dann durch das System in der Position und Art ermittelt werden. Das bedeutet: Verändern sich ursprünglich stabile Signalmuster oder treten beispielsweise bei einem Kurzschluss plötzlich markante und zusätzliche Muster auf, deutet dies auf eine eventuelle Störung an der Infrastruktur hin.

Der fehlerhafte Streckenpunkt respektive die von den Sensoren empfangene Störung wird in Echtzeit erfasst und als GPS-Koordinaten durch das Sensorgerät an den zuständigen Geschäftsbereich bei der Südostbahn übermittelt. Die damit erreichte präzise Lokalisierung bietet wertvolle Informationen, um die Fehlerquelle zu orten, und ist damit Grundlage für das angestrebte Ziel einer effizienten Störungsbehebung. Zudem könne die präventive Ortung von Schwachstellen bereits vor einer Störung mögliche Schäden aufdecken, sodass schadhafte Teile im regelmässigen Unterhaltsdienst repariert oder ausgetauscht werden können, bevor diese den Bahnbetrieb lahmlegen, ergänzt Thorsten Sennhenn.

Knall erkannt – Ziel erreicht

Die aktuellen Tests verlaufen entlang der gesamten SOB-Bahnstrecke und haben bereits erfreuliche Resultate geliefert: Ein von der Südostbahn simulierter Kurzschluss an einer Fahrleitung wurde erfolgreich detektiert und die Störung in Echtzeit und punktgenau an der betroffenen Fahrleitung lokalisiert. «Das Entwicklungsziel haben wir in diesem Fall erreicht», erklärt Thorsten Sennhenn. Wird das Pilotprojekt erfolgreich abgeschlossen, ist der Nutzen in der Bahnbranche vielfältig: «In Bezug auf Störungen im laufenden Bahnbetrieb könnten die Interventionszeiten beispielsweise bei der genauen Lokalisierung von Kurzschlüssen bis zu 80 Prozent verkürzt werden», ergänzt er.

«In einem nächsten Schritt prüfen wir, ob eine automatisiert ausgelöste E-Mail direkt an den verantwortlichen Pikettdienst der SOB gesendet werden kann – mit Uhrzeit und Ereignisposition via GPS-Daten.»

Innovation für die Bahnbranche

Die in diesen Tests eingesetzte Sensorik ermöglicht noch weitere Entwicklungsfelder: zum Beispiel das Erkennen von Steinschlägen, Erdbeben, Flachstellen an den Rädern, tatsächlichen Nutzungszahlen von Bahnübergängen durch Strassenfahrzeuge oder Schienenbrüche. Thorsten Sennhenn ist überzeugt: «In dieser Technologie steckt ein grosses Potenzial für die digitale Überwachung von Bahnstrecken.» Dieses System soll nach einem erfolgreichen Rollout der Bahnbranche als ergänzendes Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um Bahnstrecken zu überwachen und die verantwortlichen Fachstellen zu unterstützen. Doch trotz modernster Technik sind eine sorgfältige Beobachtung durch die Streckenläufer und die regelmässigen Unterhaltsarbeiten an der Bahnstrecke unverzichtbar.

Text: Brigitte Baur
Bilder: AP Sensing GmbH, SOB

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