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Zur Pensionierung eine Fahrt nach Wahl: Wie Lokführer Walter Schönbächler in den Ruhestand fährt

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Zur Pensionierung eines Lokführers gehört ein festes Ritual: Die Fahrt auf der Wunschstrecke gehört genauso dazu wie der Empfang durch die Berufskolleginnen und -kollegen. Ein Blick auf eine über vierzigjährige Lokführerkarriere und die letzte Fahrt mit der S13. Danke Walter!

Sie ist unüberhörbar: Die Lokpfeife des SOB-Flirts. Eigentlich dient sie Lokführer Walter Schönbächler zur Warnung vor Gefahren, heute ist sie in den Händen seiner Partnerin Ingrid Steiner. Sie drückt nicht einmal, nicht zweimal, sie kostet es bei der Einfahrt in den Bahnhof Einsiedeln richtig aus. Mal lang, mal kurz – immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Die Pfiffe sind für ihren Walter: 47 Jahre lang steht der Lokführer im Dienst der SOB. Nun fährt er mit der S13 19358 in seine Pensionierung.

Seine Partnerin darf, begleitet vom Einsiedler Oberlokführer Fabian Lacher, am letzten Tag mit im Führerstand fahren – und zum Schluss diese eine Taste drücken. «Jetzt isch aber guet», weist Walter Schönbächler seinen Schatz nach dem x-ten Pfiff an und schiebt schmunzelnd nach: «Es ist mir ja fast ein wenig peinlich mit diesem Pfeifen». Die letzten Meter vor dem präzisen Halt an Gleis 1 gehören allein ihm: Hebel runter, der Zug steht.

Erst eine innige Umarmung mit seiner Frau, dann öffnet der 65-Jährige die Türen und zieht das Rollo am Fenster runter. Das wars.

Grosser Bahnhof am Bahnhof

Die letzte Fahrt eines Lokführers soll gefeiert werden. Der Lokführer wählt seine Abschiedsroute, darf eine Begleitperson mitnehmen. Die Anschriften an den Zugzielanzeigern der Bahnhöfe, sie sind Wertschätzung für eine lange Dienstzeit bei der SOB. Über 50 Kolleginnen und Kollegen warten winkend am Bahnhof Einsiedeln, um Schönbächler zu empfangen: manche sind längst pensioniert, andere haben eine lange Bähnlerkarriere noch vor sich.

Inzwischen haben an diesem Freitagnachmittag Alphornklänge seines Erstfelder SOB-Lokführerkollegen Armin das Lokpfeifen am Bahnhof Einsiedeln abgelöst. Schönbächler stösst mit einem Glas Wein – er führt nebenberuflich noch eine Weinhandlung – an und erzählt von beruflichen Anekdoten. Und davon gibt es so einige.

Der erste Lernende in Samstagern

Schönbächler hat 1974 bei der Südostbahn angefangen. Als Maschinenschlosser beginnt er seine Lehre in der Werkstatt in Samstagern. Organisiert hatte ihm die Lehrstelle sein Vater. Er ist der erste Auszubildende in Samstagern überhaupt: «Ich wollte von Beginn an gute Büez leisten», erzählt er rückblickend. Nach seiner Lehre, Abschlussnote 5,3, zieht es ihn in einen Produktionsbetrieb zu BBC in Oerlikon, verkabelt dort etwa die mächtigen Güterlokomotiven Re 6/6.

Er will wieder zur SOB

Doch rasch zieht es ihn zurück. «Nun stelle ich fest, dass mir diese Arbeit überhaupt nicht zusagt», schreibt er von Hand in seiner Bewerbung an die Südostbahn. «Da ich annehme, dass Sie in der nächsten Zeit neues Personal für den Fahrdienst brauchen, will ich mich bei Ihnen als Lokführeranwärter bewerben. Mit vorzüglicher Hochachtung, Walter Schönbächler.»

Der junge Berufseinsteiger erhält den Job und fährt fortan auf dem SOB-Streckennetz von Wädenswil nach Einsiedeln und von Rapperswil nach Goldau. Die drei Jahre dauernde Ausbildung beendet er mit der SBB-Prüfung, die er mit Bravour besteht – nicht nur, weil er als Prüfling bei einem praktischen Teil schlicht und einfach vergessen ging, wie er betont.

Kleines Streckennetz, grosse Hoffnungen

Mit der Zeit wird es Walter Schönbächler auf dem SOB-Streckennetz zu eng. Aber weg will er auch nicht: Er ist in Einsiedeln zu Hause, engagiert sich in Vereinen, der Politik und hat eine eigene Familie. Mit der Bahnliberalisierung wird die SOB plötzlich mit einer Tochterfirma im Güterverkehr national tätig. «Das war eine riesige Bereicherung».

Vor allem der Gotthard tut es Schönbächler an. Doch es kommt die böse Überraschung: Plötzlich müssen die Lokführer für die Fahrten ins Tessin wegen neuen übergeordneter Vorschriften Italienisch können. Manche Kollegen wehren sich gegen die Sprachprüfungen, Schönbächler will trotzdem. Weil der interne Widerstand damals zu gross ist, entscheidet das Bahnunternehmen, dass niemand die Prüfungen ablegen kann und die Fahrten ins Tessin Lokpersonal der SBB abgegeben werden. «Da habe ich halt selbst Italienisch gelernt und die notwendige Prüfung absolviert.»

Zähneknirschend nimmt man es bei der SOB hin, dass sich der Einsiedler fortan mit viel Geschick wieder für Gotthard-Dienste einteilen lässt. Die Cargo-Dienste sind inzwischen längst Geschichte, nun geht’s mit dem Traverso über den Berg.

Reklamieren ja, aber richtig

Einfach zu führen ist Schönbächler nicht. Er ist auch ein Gewerkschafter, 16 Jahre lang im Vorstand des SEV: «Ich habe eine gewisse Streitlust». Aber: «Kritisieren muss am richtigen Ort passieren, mit den richtigen Argumenten, mit den richtigen Worten.» Dieses Geben und Nehmen ist für ihn zum Berufscredo geworden. Und er rät Kolleginnen und Kollegen: «Packe die Chancen, die dir geboten werden – du weisst nicht, wann du in dieser schnelllebigen Zeit noch froh darum sein wirst.»

Der 65-Jährige hat seine Berufswahl nie bereut: «Eisenbahner ist meine Berufung geworden.» Er hat 30 verschiedene Fahrzeug- und Lokomotivtypen gefahren, hat die rasante Entwicklung der Technik miterlebt und die Veränderungen im Beruf gespürt: «Im Reservedienst hat man sich früher noch richtig die Hände schmutzig gemacht, da waren wir alle an den Lokomotiven und reparierten etwas.» Heute geht das nicht mehr: Die Fahrzeuge haben einen technologischen Sprung gemacht, die Wartungsvorgaben sind strenger. Sein technisches Verständnis ist dafür geblieben: «Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.»

Der Gotthard fasziniert Schönbächler

Mit Wehmut und Demut blickt Schönbächler auf die über 40 Jahre als Lokführer zurück: «Nicht allen Lokführerinnen und Lokführern ist es vergönnt, unfallfrei durch die Berufskarriere zu kommen. Ich hatte dieses Glück.» Für die letzte Tour hat sich Walter noch einmal «seinen» Gotthard ausgesucht. Die Brücken, die kontinuierliche Steigung von 26 Promille, die Ingenieurskunst. All das hat ihn am Gotthard fasziniert: «Diese Landschaft ist einfach unglaublich schön».

Und dann war da noch das «Chileli von Wassen». Seit Jahrzehnten weiss jedes Kind, dass es dank der Kehrtunnels dreimal zu sehen ist. Mit etwas Schalk rüttelt Schönbächler an dieser Weisheit gerne etwas – und er hat auf der letzten Fahrt zur Sicherheit noch einmal gezählt: «Aus dem Führerstand ist das Kirchlein nämlich gleich fünf Mal zu sehen.» Die schönste Aussicht, das sei das Privileg des Lokführers. «Vielleicht sollte man das einmal Emil erzählen!»

Text und Fotos: Conradin Knabenhans

Werde Walters Nachfolger/-in

Jede erfolgreiche Berufskarriere geht mit der Pensionierung einmal zu Ende. Deshalb sucht die Südostbahn regelmässig Talente, die neue Karrieren starten wollen oder sich in ihrem Beruf mit einer neuen Herausforderung weiterentwickeln möchten.

Aktuelle Jobangebote und Informationen zur Ausbildung als Lokführer/-in oder Kundenbegleiter/-in findest du hier: www.sob.ch/jobs

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