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«Kundenbegleiter ist ein Beruf zwischen Seelsorger und Polizist»: Fünf Geschichten aus dem SOB-Berufsleben

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Bruno Gamper ist seit 25 Jahren Kundenbegleiter bei der Südostbahn. Er erzählt in fünf Episoden, warum Gymischüler im Voralpen-Express für ihn Gradmesser der Gesellschaft sind, sein Beruf mehr als ein Broterwerb ist und, wie er im Zug einmal 120 Goldbarren gefunden hat – ohne es zu merken.

Man muss Menschen mögen. Das ist bei Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleitern keine Floskel, sondern Grundvoraussetzung für den Beruf. Bruno Gamper mag Menschen. Seit 25 Jahren ist er Kundenbegleiter bei der Südostbahn und deren Ostschweizer Vorgängerin, der Bodensee-Toggenburg-Bahn. Gamper ist gelernter Bäcker und Konditor, musste aber aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf in jungen Jahren aufgeben. Ein Schritt, den er trotzdem nie bereut hat. Oder wie er es sagt: «Von Konditor zu Kondukteur ist es ja nicht weit.» Ein Rückblick auf Brunos Berufskarriere in fünf Episoden:

Episode Nr. 1: Eine Begegnung mit Folgen

Dass Bruno Gamper bei der Südostbahn gelandet ist, ist einer zufälligen Begegnung geschuldet. Einer, die er bis heute nicht vergessen hat – denn sie begann mit einer direkten Kritik. Als Kondukteur war er Ende der 1990er-Jahre noch bei den SBB tätig, als er auf einer Fahrt einen Reisenden in der 1. Klasse anweisen musste, doch bitte den Wagen zu wechseln. Denn der Fahrgast wäre sonst an der nächsten Station beim Aussteigen in den Schotter gefallen. Der Zug war zu lang, um mit allen Wagen am Perron zu halten. Doch die Aufforderung kam gar nicht gut an. Warum er das nicht schon früher durchgesagt habe, fragte der Fahrgast. Bruno erinnert sich: «Ich erklärte, dass das technisch nicht ging, worauf der Fahrgast nachfragte: Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?» Nein, das wusste der verdutzte Kondukteur nicht. Es handelte sich beim Fahrgast um den damaligen Direktor der Bodensee-Toggenburg-Bahn (BT). Die BT und die frühere SOB waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fusioniert.

Rasch entwickelte sich noch im Zug ein Gespräch, das mit der diskreten Übergabe einer Visitenkarte endete. «Ich sollte mich beim damals zuständigen Geschäftsleitungsmitglied melden, weil die BT zu wenig Zugpersonal hatte.» Einzige Bedingung: Kein Wort, wer der Tippgeber für die Stelle war. Denn damals wie heute galt: Man wirbt bei anderen Bahnen nicht direkt Mitarbeitende ab.

Episode Nr. 2: Mitternacht vor dem Tunnel

Bruno Gamper startete seine Karriere bei der SOB just in jenem Jahr, als die Jahrtausendwende gefeiert wurde. Der neue Kollege bot sich – sehr zur Freude gewisser älteren Berufskollegen – an, die Extrafahrten an Silvester 1999/2000 zu begleiten. Doch das «Millennium» bleibt Bruno Gamper nicht wegen rauschender Feste oder besonders fröhlicher Fahrgäste in Erinnerung. Vielmehr hat ihm die Angst vor dem «Millennium-Bug» einen unvergesslichen Abend beschert.

Die Sorge vor dem Fehler kam unter Computerexperten auf, weil die Geräte aus Speichergründen nur die zwei letzten Jahreszahlen eines Datums speicherten – und so von 1999 auf 1900 zurückspringen könnten. «Weil man Angst hatte, dass die Computersysteme der Bahn bei diesem speziellen Jahreswechsel ausfallen könnten, galt um Mitternacht Tunnelverbot». Die Züge mussten den Jahreswechsel auf offener Strecke oder an einem Bahnhof verbringen, um nicht mit Fahrgästen in einem dunklen Loch steckenzubleiben. Bruno Gamper verbrachte den Jahreswechsel zur Jahrtausendwende deshalb wartend. Am Bahnhof St. Gallen St. Fiden.

Episode Nr. 3: Premiere im Traverso

Dass sich Mitarbeitende bei der Südostbahn einbringen, ist dem Unternehmen wichtig. So werden neue Schwerpunktthemen geschäftsbereichsübergreifend mit Mitarbeitenden aus allen Stufen gemeinsam erarbeitet oder es gibt ein firmeninternes Ideenmanagement. Nicht zuletzt organisieren Mitarbeitende für ihre Kolleginnen und Kollegen aber jedes Jahr auch ein SOB-Fest. Bruno Gamper war mehrmals im Organisationskomitee. «Es war eine besonders grosse Ehre, dass ich die ersten Fahrten des neuen Traverso begleiten durfte.» Bevor der Traverso in den Publikumsverkehr ging, reisten die Mitarbeitenden der SOB damit ans Mitarbeiterfest nach Luzern. «Auf diesen Fahrten konnten wir alles nach Lust und Laune ausprobieren – von den Durchsagen bis zur Kaffeemaschine», erinnert sich Bruno an das besondere Erlebnis.

Und wie blickt er heute auf das Fahrzeug? Zuverlässig sei der Zug, die ersten Fahrzeuge bereits seit längerem Kilometer-Millionäre. Aber hie und da werde auch er auf die Geräusche im Zug angesprochen. Das «Schnaufen» der sogenannten Langhubdämpfer ist bei Kurvenfahrten technisch bedingt und kann nicht eliminiert werden. Als Kundenbegleiter kann er sich, nebst der Erklärung für das Geräusch, einen charmanten Spruch bei manchen Kunden nicht verkneifen: «Tragisch ist es erst, wenn es still ist – dann fahren wir nämlich nicht mehr!»

Episode Nr. 4: Die Gymischüler als Gradmesser der Gesellschaft

Bruno Gamper hätte in seiner Berufskarriere bei der Südostbahn auch die Möglichkeit gehabt, Lokführer zu werden. Doch das wollte er nicht: «Ich brauche mehr Leute um mich herum». Als Kundenbegleiter heisst das aber auch, auf Menschen zugehen zu können: «Kundenbegleiter ist ein Beruf zwischen Seelsorger und Polizist», fasst es Bruno zusammen. Manchmal spürt er bereits beim Betreten des Zuges, wie sich die Fahrgäste fühlen: «Jetzt im Frühling merkt man, wie die Stimmung im Zug wieder besser wird – wenn die Vögel am Morgen wieder pfeifen, sind die Leute anders drauf.» Aber auch die Nachrichtenlage habe Einfluss: Erfolge von Schweizer Sportlern heben die Stimmung, tragische Ereignisse drücken die Gefühlslage. «Ich werde den Abenddienst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nie vergessen – das fühlte sich wie kurz vor dem Weltuntergang an.» Auch die Coronapandemie habe Spuren hinterlassen: Das Abschalten vom Beruf mache vielen Mühe, eine Tendenz zu egoistischem Verhalten ist für ihn spürbar. Nur auf sich zu schauen, kommt für Bruno nicht in Frage: Diese Haltung hat ihn auch bei seinem jahrelangen Engagement in der Gewerkschaft SEV begleitet: «Es muss nicht nur für mich und meine Berufsgruppe stimmen, sondern beispielsweise auch für das Lokpersonal oder Mitarbeitende in der Reinigung.»

Bruno Gamper blickt optimistisch in die Zukunft, für ihn sind auch die zahlreich reisenden Gymischüler im Voralpen-Express ein Gradmesser. In den 25 Jahren bei der SOB hat er manch Schülergeneration erlabt: «Die Talsohle ist durchschritten, heute erlebe ich die Jugendlichen unterwegs wieder interessierter und mit mehr Energie». Gleich geblieben sei allerdings, dass Jugendliche auch einmal «plagen» könnten. Brunos Rezept dagegen: Alle Kundinnen und Kunden unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Alter für vollnehmen. «Anecken kann man auch dort, wo man es zuletzt erwarten würde. Deshalb will ich nicht werten.»

Episode Nr. 5: Der Goldfund

Im Oktober 2019 ist Bruno Gamper als Kundenbegleiter im – alten und noch nicht videoüberwachten – Voralpen-Express nach Luzern unterwegs. Im 1. Klass-Wagen entdeckt er bei der Ankunft in der Gepäckablage eine Einkaufstasche. Richtig reingeschaut habe er nicht, aber das Gewicht machte ihn stutzig: «Ich habe den Fundgegenstand deshalb direkt am Schalter abgegeben.» Kurz darauf ruft ihn überraschend die Luzerner Polizei an: Ob er gesehen habe, wer die Tasche deponiert habe? Und ob er wisse, was in der Tasche sei? Bruno muss verneinen: «Ich dachte dann, dass wohl Drogen im Spiel waren.»

Fast ein Jahr später kommt dann die Wende. Wie Schuppen fällt es Bruno Gamper von den Augen, als er in der Zeitung liest, dass am 24. Oktober 2019 im Voralpen-Express mit der Zugnummer 2570 Gold gefunden worden sei. «Das war ich», kam er verdutzt zum Schluss. Einen kleinen Augenblick lang habe er für sich gedacht, was wohl passiert wäre, wenn er das Gold tatsächlich auch zu Gesicht bekommen hätte – aber Bruno Gamper ist eine zu ehrliche Haut, als dass er nicht genau gleich gehandelt hätte.

Der Besitzer der 120 Goldbarren mit einem Gewicht von 3,7 Kilogramm und einem Wert von über 180'000 Franken konnte nie ausfindig gemacht werden. Weil auf dem Paket in der Tasche aber das Internationale Komitee vom Roten Kreuz als Adressat genannt war, wurde das Gold 2023 von der Luzerner Staatsanwaltschaft dem IKRK übergeben.

Und was ist mit einem Finderlohn für Bruno Gamper? Den gab es nicht. Das Personenbeförderungsgesetz schreibt nämlich in Artikel 77 vor: «Das Unternehmen wird als Finderin betrachtet, kann aber keinen Finderlohn beanspruchen.» Immerhin: Die Erinnerung an den spektakulären Fund, dürfte Gold wert sein.

Text: Conradin Knabenhans
Bilder: Conradin Knabenhans (Bruno Gamper), Markus Schälli (Voralpen-Express), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Bärtschi, Hans-Peter / SIK_02-05-1317 / CC BY-SA 4.0 (BT)

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