Die Aufnahme der Fernverkehrslinie Treno Gottardo hat die Südostbahn vor verschiedene Herausforderungen gestellt: Ein Teil der Mitarbeitenden benötigt Sprachkenntnisse in Italienisch. Deshalb lernen rund zehn Prozent der Angestellten aus verschiedenen Bereichen in praxisbezogenen Kursen intensiv eine neue Sprache nach teilweise unterschiedlichen Methoden.
Beschwingte Italoschlager schallen aus der Stereoanlage und vermitteln einen Hauch von Sommer. Ferienfeeling pur an unserem ersten Schultag. Gute Laune macht sich im Klassenzimmer breit. «Mi chiamo Laura Monti. Sono la vostra insegnante.» Mit dieser Begrüssung unserer Italienischlehrerin scheint die Leichtigkeit fürs Erste verflogen. Einige von uns verstehen nur Bahnhof und müssen erahnen, was sie gesagt hat. Mit der Vorstellrunde unsererseits hebt sich die Stimmung wieder; Roland nennt sich nun Rolino, Max ist neu Massimiliano ... Der Humor wird zu unserem Begleiter und hilft uns beim Lernen und über so manchen Durchhänger hinweg.
Wir, das sind gut 20 Mitarbeitende aus den Abteilungen «Bahnproduktion» und «Service und Qualität» sowie mit mir zwei Personen aus der Administration. Wir absolvieren eines von verschiedenen Lehrmodellen für die rund 80 SOB-Mitarbeitenden, die Italienisch lernen. Alle zwei bis drei Wochen treffen wir uns seit Anfang 2020 zu einem tägigen Intensivkurs. Je nach Einsatzplanung in einer anderen Gruppenkonstellation und je nach Wochentag mit einer anderen Lehrerin. Wie Laura sind auch Gerarda und Flavia gebürtige Italienerinnen mit langjähriger Lehrtätigkeit in der Schweiz. Sie alle sprechen Deutsch, dennoch erfolgen die Erklärungen mehrheitlich in Italienisch. Sie umschreiben das Nichtverstandene oder sie sprechen mit den Händen – Gestik ganz nach südländischer Manier. Das hilft. Diese Lehrmethode ist ein markanter Unterschied zum Sprachunterricht, wie ich ihn noch von der Schule kenne. Einer von vielen. Den Stoff erarbeiten wir in Gruppen, mit Spielen, physischen wie digitalen, und fürs Selbststudium haben die Lehrerinnen Tipps und Lernapps parat.
Die Didaktik hat sich merklich verändert – zum Positiven. Wir lernen im Unterricht zwar auch Grammatik und büffeln Vokabeln, im Vordergrund steht aber immer der Dialog. Das Lehrmittel «Chiaro!» ist so aufgebaut, dass die Sprache praktisch anwendbar ist. Und so lernen wir ganz «nebenbei» Aussprache, Artikel, Adjektive, Pronomen, Verben, das Partizip Perfekt … und dies alltagstauglich in einem realen Kontext, der uns auch gleich die italienische Kultur näherbringt
Ausnahmen bestätigen die Regel.
Was nach reinem Freizeitvergnügen klingen mag, ist viel Arbeit und bedeutet Fleiss und Disziplin bei den Hausaufgaben. Pauken ist angesagt. Im Italienischen gibt es fast keine Regel ohne Ausnahme oder wie Laura sagt: «C’è sempre un ‹ma› in italiano.» Und dieses «Aber» bringt uns oft an den Rand der Verzweiflung. Doch Laura erklärt mit einer Engelsgeduld und weiss uns zu motivieren: Mit viel Lob – «molto bene», «bravo», «bravissimo», «L’insegnante è contenta.» – hält sie uns bei Laune. Eigene kleine Erfolge wie etwa das Verstehen einer Radiomeldung auf Rete Uno beflügeln zudem.
Durch das Arbeiten in der Klasse haben wir uns persönlich näher kennengelernt. Wir wissen aus den Übungsbeispielen, wer wo wohnt, wer welche Hobbys hat oder wer was gerne isst und trinkt. Das schweisst zusammen. Auch im Beruf. Der Umgang bei der SOB wird noch kollegialer. Durch den Fernunterricht am PC vor laufender Kamera bekommen wir nun gar Einblick in die persönliche Wohnumgebung und lernen einzelne «Mitbewohner» kennen: Lauras Kater «Rambo» macht sich ab und zu durch lautes Miauen bemerkbar, und Marcos «gatto» namens Luigi räkelt sich gemächlich auf dem Schreibtisch. Eine willkommene Ablenkung, die den Wortschatz erweitert.
Auch das Kundenbegleitungsteam, das im Treno Gottardo unterwegs ist, drückt fleissig die Schulbank. Zahlreiche Mitarbeitende der Standorte Rapperswil und Arth-Goldau werden in den SOB-eigenen Räumlichkeiten in Samstagern sowie in Rapperswil unterrichtet. Einige von ihnen haben die ersten Prüfungen bereits erfolgreich bestanden, und die neuen Kundenbegleiter haben per Stellenantritt mit dem Sprachkurs begonnen; sie machen schon sehr gute Fortschritte.
Während das Team aus der Administration vor allem der guten Vernetzung wegen Italienisch lernt und das Lokpersonal aus Gründen der Sicherheit, sind die Kundenbegleiterinnen und -begleiter gleich mehrfach gefordert: Sie interagieren mit den Fahrgästen zu allen möglichen Themen (sie beraten die Reisenden, kontrollieren und verkaufen Billette), sie informieren per Lautsprecher über Ankunft, Weiterfahrt und Anschlussverbindungen und sie müssen ausserdem die fachspezifischen Ausdrücke beherrschen, damit sie im Störungsfall die entsprechenden Durchsagen machen können.
Es ist (leider) noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aber die Übung machts. Wir schlagen uns tapfer, findet Laura, und viele Wege führen nach Rom. Unser Ziel ist das Tessin. Wir fahren (natürlich) mit dem Treno Gottardo – il più bel collegamento tra nord e sud. Andiamo!
Text: Claudia Krucker
Bilder: Fabian Lacher, Screenshot aus Fernunterricht