Diese Schätzfrage rund um die Infrastruktur der Südostbahn könnte in einem Quiz Kopfzerbrechen verursachen. Wir zeigen, warum es gleich mehrere richtige Lösungen auf die Frage gibt – und der Fernverkehr trotzdem nichts damit zu tun hat.
Diese Geschichte beginnt mit einer einfachen Frage: Wie gross ist das Streckennetz der Südostbahn? Darüber müsste man rasch Auskunft geben können. Doch die Antwort ist alles andere als banal. Es kommen je nach Blickwinkel nämlich gleich mehrere Kilometerzahlen in Frage.
Der Unterschied von Strecken- und Liniennetz
Mit dem Eintritt in den Fernverkehr ist die Südostbahn stark gewachsen. Seit den Fahrplanwechseln in den Jahren 2020 und 2021 bedient das Bahnunternehmen die Strecken von Basel und Zürich über den Gotthard nach Locarno (Treno Gottardo) und von Bern über Olten und Zürich nach Chur (Aare Linth). Zwar ist die SOB nun in deutlich mehr Regionen unterwegs als früher, doch das Schienennetz der SOB ist gleich gross geblieben. Wie kann das sein?
Im Fachjargon wird zwischen dem Liniennetz – also der gefahrenen Routen – und dem Streckennetz – der Infrastruktur eines Bahnunternehmens – unterschieden. Für den Treno Gottardo und den Voralpen-Express etwa ist das «Eisenbahnverkehrsunternehmen» (EVU) SOB zuständig. In der Ost- und in der Zentralschweiz besitzt die «Infrastrukturbetreiberin» (ISB) SOB ein eigenes Streckennetz.
Gewachsen ist mit dem Eintritt in den Fernverkehr also nur das Liniennetz: Neu hinzugekommen sind die 291 Kilometer von Basel nach Locarno, die 208 Kilometer von Zürich nach Locarno und 236 Kilometer von Bern nach Chur. Das Liniennetz ist neu 1006 Kilometer (2022) lang, vor dem Eintritt in den Fernverkehr waren es 440 Kilometer (2018). In dieser Gesamtzahl werden von verschiedenen Linien befahrene Streckenabschnitte mehrfach gezählt – etwa der Abschnitt von Samstagern nach Biberbrugg, der vom Voralpen-Express, der S13 und der S40 befahren wird.
Das Eisenbahnverkehrsunternehmen SOB ist dabei sowohl auf SOB-Schienen als auch auf jenen der SBB unterwegs. Im Jahr 2022 werden die SOB-Fahrzeuge voraussichtlich rund 14,5 Millionen Kilometer fahren – 11,5 Millionen davon auf der Infrastruktur der SBB.
Viele Zahlen für das Streckennetz
Beim Blick auf das Streckennetz der Infrastrukturbetreiberin SOB wird die Auswahl der möglichen Längenangaben aber nicht einfacher. 111 Kilometer, 123 Kilometer, 137 Kilometer oder 145 Kilometer? Obwohl die Unterschiede gering sind, widerspiegeln sie verschiedene Aspekte des Schienennetzes.
Die 111 Kilometer – exakt sind es aktuell 110,503 Kilometer – beschreiben das komplette Streckennetz in seiner effektiven Distanz von A nach B. Linus Stauffacher, Portfoliomanager der Anlageninfrastruktur bei der SOB, hat die Zahlen zusammengestellt: «Für jeden Streckenabschnitt ist ein exakter Punkt – etwa ein Anfangspunkt einer Weiche – festgelegt, wo unser Gleiseigentum beginnt.» Deshalb sind es nicht einfach die Bahnhöfe, die als Messbeginn für die Streckenlänge dienen.
Als Beispiel: Zwar führt die SOB-Strecke von Romanshorn nach St. Gallen St. Fiden, doch das Gleiseigentum beginnt erst gut einen Kilometer nach dem Bahnhof Romanshorn bei der Abzweigung von der Strecke nach Rorschach und endet jeweils bei den ersten Weichen. Auf der St. Galler Seite bedeutet das: Auf dem rechten Gleis kurz nach dem Bruggwaldtunnel und zusätzlich auf dem linken Gleis einen Kilometer später in Richtung St. Fiden. Die beiden Bahnhöfe befinden sich im Eigentum der SBB und werden deshalb nicht mitgezählt.
Die Netzanschlusspunkte sind in den Verträgen mit der SBB definiert. Darin sind auch die abweichenden Grenzpunkte für die anderen sogenannten Anlagengattungen – etwa Grundstückgrenzen und Fahrleitungsstreckentrenner – definiert.
«Die geografische Streckenlänge von 111 Kilometern ist für uns aber gar nicht so relevant», sagt Stauffacher. Wichtiger sind die 145 Kilometer. «Das ist die Eigentumslänge sämtlicher Gleisanlagen». Dazu gehören Doppelspurabschnitte, Bahnhofanlagen, Spurwechsel und Rangiergleise. «Auf Basis dieser Kilometerzahl wird etwa der Wiederbeschaffungswert aller Anlagen berechnet und der Investitionsbedarf abgebildet.» Am Beispiel des grössten Schweizer Bahnhofs lässt sich eindrücklich illustrieren, weshalb der Unterschied wichtig ist: Die Länge der Gleisanlage im Gebiet des Zürcher Hauptbahnhofs beträgt ungefähr vier Kilometer – gesamthaft sind aber über 100 Kilometer Gleis verbaut. Kein Wunder bei allein 26 verschiedenen Bahnperrons.
Von Doppelspuren und Rangiergleisen
Zurück zur SOB: Ihre Berechtigung haben aber auch die anderen Zahlen. Ob ein Streckenabschnitt ein- oder zweigleisig ist, verändert betrieblich ziemlich viel: Mehr Gleise heisst auch mehr Kapazität. Mit den Doppelspurabschnitten oder Spurwechseln auf denen Züge fahren können, verlängert sich das Streckennetz auf 123 Kilometer. Nimmt man die Gleisanlagen in Bahnhöfen dazu, berücksichtigt also alle sogenannten «Hauptgleise», kommt man auf rund 137 Kilometer. Die restlichen rund 8 Kilometer sind Rangiergleise. Nicht eingerechnet sind private Anschlussgleise (etwa bei Firmen mit Cargo-Logistik) und die Gleisanlagen direkt vor den Service-Zentren, die in den Verantwortungsbereich des Eisenbahnverkehrsunternehmens SOB fallen.
Streckenlängen sind laut Linus Stauffacher nicht in Stein gemeisselt: Wird gebaut, verschiebt sich vielleicht die eine oder andere Weiche um ein paar Meter und schon wird die Gleisgrenze wieder um einige Meter korrigiert. Zudem wird die Infrastruktur weiter ausgebaut: Aktuell plant die Südostbahn den Doppelspurausbau zwischen Schindellegi-Feusisberg und Biberbrugg.
Nach Abschluss der Bauarbeiten, voraussichtlich 2027, wird die Gleislänge um rund 2,7 Kilometer anwachsen. Im schweizweiten Vergleich vielleicht kein allzu grosser Sprung: Für die Betriebsstabilität auf der Strecke aber ein enormer Schritt in die Zukunft der SOB.