Bahnwissen

Ohne Mobilfunk geht es auch im Bahnverkehr nicht

| Bahnwissen

Noch kurz den aktuellen Fahrplan überprüfen oder ein Foto auf Instagram laden: Smartphones sind zum unentbehrlichen Reisebegleiter geworden, denn der Mobilfunk spielt im Bahnbetrieb eine zentrale Rolle.

Einst blätterten Fahrgäste unterwegs noch in Zeitungen, dann wurde frisch-fröhlich der neuste Klatsch und Tratsch am Telefon besprochen. Heutzutage dient das Smartphone während Zugfahrten nicht nur Telefonanrufen, sondern gleich dem ganzen Spektrum, vom mobilen Arbeiten bis zur Unterhaltung. Die mobilen Geräte sind als Reisebegleiter nicht mehr wegzudenken. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen der Fahrgäste: Guter Mobilfunkempfang gehört im öffentlichen Verkehr einfach dazu.

Doch die stabile Mobilfunkversorgung ist längst nicht nur für die Reisenden von Bedeutung. Für den Bahnbetrieb sind die Funkzellen gar essenziell. Das beginnt bei alltäglichen Anwendungen für das Zugpersonal. Über die sogenannte «funktionale Adressierung» wird etwa die sekundenschnelle telefonische Erreichbarkeit eines jeden beliebigen Kundenbegleiters über die Zugnummer sichergestellt. Aber auch hochkomplexe Themen wie die sogenannte «Führerstandsignalisierung» benötigen den Mobilfunk. Dahinter steckt das Anzeigen von Signalen im Führerstand statt draussen entlang der Strecke.

Technologie entwickelt sich weiter

Die heute eingesetzte Technologie für solche Anwendungen hat ihr Lebensende erreicht. Die in vielen Ländern eingesetzte GSM-R(ail-)Technik – ein eigenes geschlossenes Mobilfunknetz für die Bahn – basiert noch auf der 2G-Technologie und wurde vor rund 30 Jahren erstmals eingesetzt. Seither hat sich die mobile Kommunikation bis zur heutigen 5G-Technologie rasant weiterentwickelt und 2G fast vollends abgelöst. So können Privatkunden ihre alten 2G-Geräte auf dem Netz der Swisscom nicht mehr nutzen, da deren 2G-Dienste kürzlich abgeschaltet wurden. Bei der Nachfolgetechnologie 3G ist ebenfalls bereits ein Ende in Sicht: Per Ende 2025 will die Swisscom auch diese Technologie nicht mehr verwenden.

Die SOB-Züge melden sich auf dem GSM-R-Netz an und nutzen via «Roaming»-Technologie zusätzlich das gleiche wie von Privatkunden verwendete Netz – etwa dort, wo das GSM-R-Netz gar nie gebaut wurde. Für die SOB bedeutete dies, dass die Zugfunkgeräte im Führerstand bei älteren Flirt-Fahrzeugen modernisiert werden mussten. Um den Technologiesprung auch bei der Bahn zu machen, wird deshalb europaweit am neuen Bahnstandard gearbeitet: «Future Railway Mobile Communication System» (FRMCS). Dieser basiert auf dem 5G-Standard

Die Schweiz darf keine Insel sein

Für Thomas Küchler, Vorsitzender der SOB-Geschäftsleitung, ist klar, dass es den Effort braucht, 5G einzuführen – auch wenn die Schweiz noch über ein weit ausgebautes GSM-R-Netz verfügt. Weltweit lasse sich 5G nicht aufhalten: «Wenn wir nicht umsteigen, wird sich die Problematik in der Verfügbarkeit der technischen Komponenten manifestieren». Die Bahnsicherung und die Signalisierung im Führerstand seien zudem europäisch harmonisiert. Die Schweiz würde sich mit Beharren auf dem Status quo isolieren. Dies würde nicht nur zu Einschränkungen – keine Kompatibilität zum europäischen Netz – führen, sondern langfristig auch explodierende Kosten verursachen. Weiter fügt Küchler an: «Um unser Schienennetz stärker auslasten zu können, braucht es mehr Kapazität und Leistung bei der Informationsübertragung,» Gerade mit Blick auf das strukturelle Bevölkerungswachstum ist notwendig: Der Platz in der Landschaft für Ausbauprojekte ist begrenzt, also muss das Wachstum mehrheitlich mit der bestehenden Infrastruktur aufgefangen werden können. Schnellere Datenaustausch schafft zudem neue Möglichkeiten. Davon könnten Fahrgäste künftig im Bereich der Kundeninformation profitieren – beispielsweise durch bessere Prognosen und Informationen im Störungsfall.

Gemeinsame Nutzung von Infrastruktur

Die Südostbahn erarbeitet diverse Ansätze, um die Nutzung der Mobilfunktechnologie im Bahnsystem zu verbessern. Mikrofunkzellen an Fahrleitungsmasten stellen die Datenübermittlung dort sicher, wo im Mobilfunknetz – auch wegen der erfolgten 2G-Abschaltung – Lücken entstanden sind. Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung des Empfangs für bahnbetriebliche Zwecke. Weil diese Mikrofunkzellen nur über eine sehr geringe Leistung verfügen, sind diese nicht dafür geeignet, dass auch Fahrgäste davon profitieren könnten. Thorsten Sennhenn, Technologie-Manager Telecom bei der Südostbahn und Vorsitzender des Branchen-Fachzirkels «Connectivity», sagt aber: «Es ist denkbar, dass Mobilfunk-Provider diese Standorte auch für ihre Privatkunden nutzen würden. Dafür sind allerdings ordentliche Genehmigungsverfahren notwendig, weil eine Zusatzantenne eine höhere Strahlenleistung erfordern würde.» Die SOB-Mini-Antennen verfügen bereits über einen Stromanschluss und eine Verbindung zu den Rechenzentren der Mobilfunkbetreiber, die auch für grössere Antennen genutzt werden könnten.

Dass Bahnunternehmen und Mobilfunkanbieter eng zusammenarbeiten, begrüsst Thomas Küchler im Hinblick auf FRMCS. In einem Pilotprojekt möchte die Südostbahn in den kommenden Jahren aufzeigen, dass die sichere Bahnkommunikation über 5G-Technologie auch ohne geschlossenes eigenes Bahn-Mobilfunk-Netz, sondern in Zusammenarbeit mit öffentlichen Anbietern möglich ist.

Ein Standort, mehrere Funktionen

Vereinfacht gesagt verfügt 5G standardmässig über unterschiedliche Informationsebenen, die über die gleiche Infrastruktur, aber getrennt voneinander funktionieren können. So kämen sich Privatkunden und Behörden sowie Organisationen für Rettung und Sicherheit, beispielsweise die Blaulichtorganisationen Polizei, Feuerwehr und Sanität, nicht in die Quere. Dass die im vorliegenden Fall für den Bahnbetrieb funktioniert, muss in einem Test bestätigt werden. «Statt für alle Anwendungen und alle Nutzergruppen eigene Netze aufzubauen, muss es das Ziel sein, diese zu verknüpfen und so ein redundantes Netzwerk zu schaffen», sagt Küchler. Die Festlegung von gehärteten Kriesenstandorten mit speziellen Schutzmassnahmen wie Notstromversorgungen oder doppelter Anbindung an Datennetze könnte die Infrastrukturstandorte langfristig gar reduzieren. Küchler ergänzt: «Verteilen wir die Dienste für die Kriesenbewältigung auf verschiedene Anbieter, erreichen wir eine höhere Resilienz.» Die durchgehende Verfügbarkeit der Datennetze hat oberste Priorität. Während das Hochladen eines Videos in die sozialen Netzwerke warten kann, ist die Mobilfunkanbindung für den Bahnbetrieb längst unentbehrlich.

Das ist 5G

Die fünfte Generation der Mobilfunkstandards ist rasend schnell. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 10 Gbit pro Sekunde lassen sich Daten quasi in Echtzeit übermitteln. 5G ist fast 100-mal schneller als die 4G-Vorgängertechnologie - selbst wenn heute noch nicht die ganze Bandbreite der technologischen Möglichkeiten von 5G ausgeschöpft wird. Ein weiterer Vorteil ist die deutlich tiefere Reaktionszeit (Latenz). Während frühere Mobilfunkantennen ineinem grösseren Radius strahlten, kommt bei 5G eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung zum Gerät zustande. Damit reduziert sich die Strahlenbelastung.

Text und Bilder: Conradin Knabenhans

Schriftzug abonnieren

Dieser Beitrag stammt aus unserem Magazin «Schriftzug». Lust zum Weiterlesen? Abonnieren Sie den Schriftzug kostenlos und erhalten Sie das Magazin zweimal jährlich per Post zugeschickt.

Schriftzug kostenlos abonnieren

nach oben