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Die SOB erhöht Höchstgeschwindigkeit im 50 Promille Gefälle

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Seit Anfang März fährt die SOB auf Strecken mit 50 Promille Gefälle erstmals planmässig mit einer Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h statt wie bisher 60 km/h. Zunächst erfolgt die Erhöhung der Geschwindigkeit auf der Strecke Schindellegi–Feusisberg–Samstagern, wo die technischen Anforderungen bereits erfüllt sind. Bis im Sommer 2025 werden die nötigen Massnahmen auf den weiteren Strecken im SOB Süd-Netz umgesetzt und die Geschwindigkeit auch dort erhöht.

Ein hürdenreiches Querschnittsthema

Bis in die 1960er-Jahre galt im 50 Promille-Gefälle eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Das verbesserte Bremsvermögen stärkerer Triebfahrzeuge – sogenannte «Hochleistungstriebwagen» – erlaubte eine Erhöhung auf 60 km/h. Bereits in den 1990er-Jahren gab es in der früheren Südostbahn im Zusammenhang mit den NPZ-Fahrzeugen im Südstreckennetz Bestrebungen, die Geschwindigkeit weiter zu erhöhen. Nach der Lieferung der ersten Flirtfahrzeuge kam das Thema erneut auf. Die Hürden waren aber so hoch, dass sich niemand daran wagte. Das Bundesamt für Verkehr forderte unter anderem Testfahrten mit 500 m langen Messzügen aus einheitlichem Rollmaterial mit Hunderten von Testbremsungen, zunächst auf komplett gerader und horizontaler Referenzstrecke und dann auf komplett gerader Strecke mit 50 Promille Gefälle.

Die Erhöhung der Geschwindigkeit auf Bahnstrecken ist ein komplexes Thema, da es verschiedene Verantwortungsbereiche betrifft. Es war unklar, wer zuständig ist: die Verantwortlichen für die Netzentwicklung wegen der Senkung der Fahrzeiten, jene für die Sicherungsanlagen aufgrund der Verschiebung der Vorsignaldistanzen oder das Eisenbahnverkehrsunternehmen wegen der möglichen Leistungsverbesserung? Auch die Abteilung Marktentwicklung spielte eine Rolle, da eine Geschwindigkeitserhöhung potenziell neue Angebote ermöglicht. Der Durchbruch kam mit der Einführung technischer Normen auf europäischer Ebene. Diese Normen führten dazu, dass die Verantwortung von der Aufsichtsbehörde auf das zuständige Bahnunternehmen überging.

Das ausschlaggebende Kriterium: die Schnellbremsung

Sicheres Bremsen ist das zentrale Sicherheitskriterium für die Festlegung der Höchstgeschwindigkeit. Beim entsprechenden Test werden zwei Schnellbremsungen (Notfallbremsungen) hintereinander ausschliesslich mit der Luftbremse durchgeführt. Dabei darf sich die Bremse nicht überhitzen und beschädigt werden. Im Alltag kommt diese Situation nicht vor, da die elektrische Bremse verwendet wird.

Im Herbst 2020 wurden rund 40 Probefahrten durchgeführt, bei denen die Geschwindigkeit schrittweise erhöht wurde. Die Flirt-Flotte inklusive Traverso konnte die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h statt 60 km/h problemlos meistern und sicher anhalten, auch bei mehrfachen Bremsungen hintereinander nur mit der Luftbremse, ohne dass sich die Bremselemente überhitzen. Bevor die Plangenehmigung durch das Bundesamt für Verkehr erfolgte, musste noch die Lärmbelastung in der Umgebung geprüft werden. Wissenschaftliche Berechnungen zeigten, dass die Geschwindigkeitserhöhung keine signifikante Lärmzunahme verursacht. Damit stand der Realisierung der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nichts mehr im Wege.

Die technischen Voraussetzungen

Die Geschwindigkeitserhöhung erfordert bei der Infrastruktur folgende Anpassungen:

  • Ausweitung der einfahrseitigen Vorsignaldistanzen sowie der Bahnübergangsdeckungen von 300 m auf 500 m
  • Verschiebung der Einschaltkontakte und Algorithmen für das Einstellen von Fahrstrassen und die Ansteuerung von Bahnübergangsanlagen
  • Anpassung der streckenseitigen Geschwindigkeitssignalisierung und -vorgaben
  • Anpassung des Zugsicherungssystems

Bei der SOB wurde der letzte Punkt genutzt, um gleichzeitig die optimierte ETCS-Projektierung einzuführen. Dadurch können ETCS-Fahrzeuge (Flirt 3 und Traverso) mit der gleichen Bremskurve an ein Haltesignal heranfahren wie ZUB-Züge (Flirt 1 und 2).

Der praktische Nutzen

Die erhöhte Geschwindigkeit verkürzt die Fahrzeit um bis zu 10 Sekunden pro Kilometer. Das bedeutet, dass bei der aktuell eingeplanten Fahrzeit eine zusätzliche Reserve bei Verspätungen entsteht. Auf der Strecke Samstagern–Wädenswil ergibt sich dadurch ein branchenüblicher Schwellenwert von 7% Fahrzeitreserve. Dieser Wert war in den letzten Jahren zugunsten optimaler Anschlussverbindungen unterschritten worden.

Text: Esther Volken
Bilder: SOB

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