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«Kollision» auf dem Bahnübergang: So trainiert die Feuerwehr

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Südostbahn, Intervention SBB und die Feuerwehr Einsiedeln wollen für den Ernstfall gerüstet sein: Wie rettet man Menschenleben, wenn Fahrleitungen und Barrieren über einem Auto liegen?

Zug trifft auf Auto. Dieses Szenario will niemand erleben. Und trotzdem kann es passieren: Ablenkung, Unachtsamkeit oder unterschätzte Strassenverhältnisse führen in seltenen Fällen dazu, dass das Auto ausgerechnet dort stehen bleibt, wo es nicht sollte – auf dem Bahnübergang. Rettungskräfte müssen bei einem solchen Ereignis genau wissen, wie sie Autolenker, Lokführer und Fahrgäste in Sicherheit bringen können. Denn in einem solchen Fall lauern überall Gefahren: Kommt auf dem Gleis nebenan noch ein Zug? Ist Strom auf der Fahrleitung, die über das Auto hängt? Fängt das Auto gar Feuer?

In Einsiedeln trainieren Mitarbeiter der Schweizerischen Südostbahn AG (SOB), der Intervention SBB und Einsatzkräfte der Feuerwehr Einsiedeln Mitte August genau dieses Szenario. Mit einer Theorielektion rund um Bahnsicherheit und den Lösch- und Rettungszug wird die Übung thematisch untermauert. Die SOB vermittelt mehrmals pro Jahr mit Übungen und Theorieabenden das notwendige Bahnwissen an Feuerwehren und weitere Rettungskräfte.

Trotz Inszenierung steigt der Puls

Wie in einer Theaterkulisse bereiten die Teams den Schadenplatz vor: Das Auto ist Schrott, die Frontscheibe schon zerborsten, bevor der «Unfall» überhaupt geschehen ist. Ein Barrierenholmen wird über das Auto gelegt, dazu etwas Fahrdraht und ein Stück Isolator, die angeblich heruntergefallen sind. René Megert, Leiter Betriebsführung bei der SOB, sorgt mit viel Augenmass dafür, dass nun auch der S-Bahn-Flirt an der richtigen Stelle zum Stillstand kommt, der vom Lösch- und Rettungszug der SBB ins bereits stromlose Abstellgleis bei der Einsiedler Gartenbahn geschoben wird. Mit klaren Handzeichen fordert Megert seine Kollegen auf, den Flirt noch ein Stück näher ans Auto zu fahren. Seine Hand geht nach unten, «Stopp», der Zug kommt zum Stillstand – just so, dass die Kupplung mit leichtem Knirschen aber ziemlich sanft das Seitenfenster des Autos trifft.

Beim Einsiedler Feuerwehrkommandanten Marcel Zehnder geht nun der Puls doch etwas hoch, wie er einem anwesenden Journalisten erzählt. Ja, Übungen machen sie öfters – und dennoch, dieses Szenario ist speziell, gerade weil die Szenerie nun so echt wirkt. Inzwischen ist sogar eine Studentin als «Opfer» ins Auto gestiegen, sie wird später von den Einsatzkräften geborgen werden. «Mit den Bildern lernt man», ist René Megert überzeugt. Diese Erlebnisse aus der Übung könnten die Einsatzkräfte wieder abrufen, sollten sie tatsächlich einmal im Ernstfall agieren müssen.

Konzentration statt Action

Zweimal wird von unterschiedlichen Gruppen trainiert, einmal bei Tageslicht, einmal bei einbrechender Dunkelheit. Die Einsatzkräfte sehen das Übungsszenario erst, wenn sie auf den fiktiven Schadenplatz kommen. Und dennoch: Wer viel Action oder wild herumrennende Feuerwehrleute erwartet, wird enttäuscht. Aber das hier ist eben kein Spielfilm, trotz künstlicher Kulisse: Ruhig, professionell und sicher arbeiten die Einsatzkräfte der Feuerwehr. Aus sicherer Distanz wird das rauchende Auto mit Wasser vor einem Feuer geschützt, mit den übrigen Rettungsmassnahmen müssen sie geduldig warten, bis die Fahrleitung stromlos geschaltet und geerdet wurde. Die Funksprüche sind kurz und präzise, einmal wird etwas mehr Licht gewünscht, dann wird bestätigt, dass der Kontakt mit dem Lokführer hergestellt werden konnte. Ebenso konzentriert wird später an der Rettung der Fahrzeuglenkerin gearbeitet. Für René Megert ist klar: Die Übung ist gelungen, das Zusammenspiel der verschiedenen Teams hat funktioniert. 

Es sind die kleinen Details, über die die Feuerwehrleute nach der Übung diskutieren. Wie kommuniziert man eigentlich mit der Verletzten, wenn man sich wegen der Stromschlaggefahr dem Auto nicht nähern darf und plötzlich aus über 20 Metern Entfernung mit dem Wasserschlauch direkt Richtung Frontscheibe zielt? Die an diesem Abend entwickelten Ideen – etwa ein Megafon einzusetzen – wird die Feuerwehr bei der Nachbesprechung wohl noch eingehender diskutieren. Und manch einer wird in seinem Umfeld weitererzählen: Wer zwischen die Barrierenholmen gerät, soll diese wenn möglich mit dem Auto sofort durchbrechen und aus dem Gefahrenbereich raus. 

Für die Fahrgäste im Zug hingegen gilt: Drinnen ist es am sichersten. Selbst bei einer heruntergestürzten Fahrleitung kann dank des Prinzips des faradayschen Käfigs nichts passieren. Draussen lauern die Gefahren. Die kalte Dusche aus dem Feuerwehrschlauch wäre noch verkraftbar, doch der fliessende Strom kann tödlich sein. Als Fahrgast hat man aber die Gewissheit: Die Einsatzkräfte wissen im Notfall, was für eine sichere Rettung zu tun ist.

Text und Bilder: Conradin Knabenhans

Der faradaysche Käfig

Der englische Physiker Michael Faraday (1791-1867) gibt dem berühmten «Käfig» seinen Namen. Der Forscher hatte entdeckt, dass in eine geschlossene, elektrisch leitende Hülle keine elektrischen Felder eindringen. Deshalb ist auch ein Blitz mit mehreren tausend Volt Spannung für Autolenker oder Fahrgäste ungefährlich, wenn er in ein Auto oder einen Zug einschlägt. Dasselbe Prinzip gilt deshalb auch, wenn der Strom durch eine Fahrleitung fliesst und bei einem Zwischenfall mit einem Fahrzeug in Berührung kommt. Übrigens: Faraday hat auch die elektromagnetische Induktion entdeckt und damit etwa den Grundstein für den Fahrraddynamo gelegt.

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