Die Disponentinnen und Disponenten der Transportleitstelle halten den Bahnverkehr am Laufen. Sie koordinieren den Einsatz von Fahrzeugen und Personal, minimieren Ausfälle und reagieren in Echtzeit auf unerwartete Ereignisse. Neben schnellen Entscheidungen sind eine klare Kommunikation und gute Teamarbeit gefragt.
Um mehr über den Beruf des Disponierens zu erfahren, treffe ich mich mit Jessica Ruckstuhl, Disponentin in der Transportleitstelle. Wegen eines Zugausfalls komme ich mit Verspätung am Bahnhof Herisau an – doch Jessica hat längst reagiert. Statt wie geplant im Sitzungszimmer des etwas weiter entfernten Service-Zentrums zu warten, hat sie kurzerhand umdisponiert und ein Büro im Bahnhofsgebäude organisiert, das spontan frei wurde. «So bleiben wir im Zeitplan und wir sind schneller an meinem Arbeitsplatz», sagt sie, als sie mich am Perron abholt. Schnelle Entscheidungen treffen, pragmatische Lösungen finden – Jessica zeigt mir schon bei unserer ersten Begegnung, worauf es in ihrem Job ankommt. Und damit sind wir mitten im Thema.
Mit Gelassenheit zur Lösung
«In erster Linie sind wir dafür da, Probleme zu lösen», fasst Jessica die Arbeit in der Transportleitstelle zusammen. Sie sorgt dafür, dass immer genügend Fahrzeuge und Personal am richtigen Ort einsatzbereit sind, um den Personenverkehr auch in einem Störungsfall aufrechtzuerhalten. Störungsfälle können krankheitsbedingte Personalausfälle, Fahrzeugstörungen oder sonstige Notfälle sein, die den Einsatz der Fahrzeuge sowie des Zugpersonals beeinflussen. «In solchen Situationen ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und das Problem Schritt für Schritt anzugehen», erklärt Jessica. Das lerne man mit der Zeit und zunehmender Erfahrung.
Jessica arbeitet seit Januar 2024 bei der Südostbahn. Sie ist gelernte Coiffeuse und kam über Umwege zur Bahn. «Ich probiere gerne Neues aus, um mich weiterzuentwickeln. Zu neuen Möglichkeiten sage ich grundsätzlich ‹Ja›.» So kam es, dass Jessica eines Tages als Schulbusfahrerin angefragt wurde und zusagte. Ihre Reise führte sie weiter zum Postauto und anschliessend zum Lastwagen. Dort entdeckte sie die Welt der Disposition – und fand darin ihre Leidenschaft. Die Dispo-Schule bestätigte ihr, dass sie genau das Richtige für sich gefunden hatte.
«Damit der Zugverkehr reibungslos läuft, planen wir als Disponentinnen und Disponenten die effektiven Fahrzeugeinsätze sowie die Dienste des Lokpersonals und der Kundenbegleitung», erklärt Jessica. Dabei müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden: die Kundenbedürfnisse – zum Beispiel der Einsatz passender Züge, etwa komfortablere Modelle mit mehr Sitzplätzen im Fernverkehr und wendigere Fahrzeuge im Regionalverkehr –, das Arbeitszeitgesetz, die Verfügbarkeit des Personals und der Fahrzeuge sowie viele weitere Details. Dies geschieht in sogenannten Ressorts. Dazu gehört unter anderem die Einteilung der Fahrzeuge und des Zugpersonals, die Abrechnungen der geleisteten Stunden des Personals und die Vorbereitung der Fahrzeuge, also die organisatorische Planung und Koordination von Fahrzeugbewegungen, speziellen Einsätzen und betrieblichen Abläufen.
Neben den Ressorts gibt es das Tagesgeschäft. Dieses verteilt sich auf drei feste Arbeitsplätze – einen für die Fahrzeuge, einen für das Lokpersonal und einen für die Kundenbegleitung. Diese Arbeitsplätze sind rund um die Uhr besetzt. Jeder Disponent und jede Disponentin wird in diesen drei Bereichen eingesetzt, wobei die Einteilung täglich wechseln kann. «Einen Lieblingsarbeitsplatz habe ich nicht. Die Vielfalt gefällt mir am besten», sagt Jessica. Während im Tagesgeschäft Kundenbegleitung und Lokpersonal das Abdecken von offenen «Touren» – also die Einsätze des Zugpersonals – im Fokus steht, geht es im Tagesgeschäft Fahrzeuge darum, den Betrieb trotz technischen Einschränkungen aufrechtzuerhalten. Dabei stellt sich oft die zentrale Frage, ob ein Zug mit nicht sicherheitsrelevanter Störung weiterfahren kann oder ersetzt werden muss. Falls ein Ersatz nötig ist, gilt es, das defekte Fahrzeug möglichst rasch zur Reparatur in die Service-Zentren Herisau oder Samstagern zu bringen. Das Hauptziel ist immer, dass die Reisenden möglichst wenig von einer Störung mitbekommen.
Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg
In Jessicas Arbeitsalltag kann es hektisch zu und her gehen, genauso gibt es aber auch ruhige Phasen. «In der Transportleitstelle muss man von null auf hundert aufdrehen, aber auch schnell wieder runterfahren können», erklärt sie. Dafür sei eine hohe Stressresistenz erforderlich. Ebenfalls entscheidend ist vernetztes Denken: Wer in der Transportleitstelle arbeitet, muss sofort erfassen, welche Auswirkungen eine Störung auf den gesamten Betrieb hat. «Und man muss Menschen mögen», sagt Jessica mit einem Augenzwinkern. Den Austausch mit dem Zugpersonal schätzt Jessica an ihrem Beruf. Dieser ist zentral, um den bestmöglichen Job zu machen. «Je besser die betroffenen Stellen verstehen, warum wir eine Entscheidung treffen, desto grösser ist die Akzeptanz – und desto reibungsloser läuft alles.» Die gute Zusammenarbeit zahlt sich aus. Oft erlebt Jessica, dass das Zugpersonal ihr die Arbeit erleichtert, wo es nur kann. «Es ist ein Geben und Nehmen», sagt sie. Sie erzählt mir von einem Lokführer, der auf «Reserve» war – also nicht aktiv im Dienst, aber auf Bereitschaft, um bei einem Personalausfall einzuspringen. Als er bemerkte, dass ein Signal im Bahnhof nicht aufgegangen war, rief er Jessica an. Er vermutete ein Problem auf SOB-Seite und war sofort bereit, einzuspringen, falls es nötig wäre. Ein Paradebeispiel dafür, wie ein positives Arbeitsklima die Arbeit der Disponentinnen und Disponenten in der Transportleitstelle vereinfacht.
Neben dem Zugpersonal steht Jessica mit vielen weiteren internen wie auch externen Abteilungen in Kontakt. Dazu gehören die Betriebszentralen der SOB und der SBB. Wenn die Transportleitstelle aufgrund eines Störungsfalls den Umlauf, also den «Dienstplan» eines Zuges, ändern muss, betrifft das viele Stellen gleichzeitig. Je nach Ereignisort und je nachdem, ob ein Fahrzeug oder Personal der SBB betroffen ist, müssen auch die Betriebszentralen in Olten, Zürich und im Tessin sowie die Personaleinsatzstellen der SBB eingebunden werden. Zwar übernimmt die SOB nicht die Planung von SBB-Fahrzeugen oder -Personal, doch weil im Regelbetrieb auch Ressourcen der SBB eingesetzt werden, ist in Störungsfällen eine enge Abstimmung notwendig. Fahrzeugverfügbarkeit und Personaleinsätze müssen dann über Unternehmensgrenzen hinweg koordiniert werden.
Weitere Schnittstellen sind die Instandhaltung der Fahrzeuge und die Transportplanung. Die Instandhaltung muss über Störungen am Fahrzeug Bescheid wissen und von der Transportplanung übernimmt die Transportleitstelle die langfristige Grobplanung der Einsätze der Fahrzeuge und des Zugpersonals, die in der Transportleitstelle in detaillierte Dienstpläne umgesetzt wird. «Eigentlich wird jedes Problem irgendwann an uns herangetragen. Wir sind dafür da, Lösungen zu finden, das wissen die Mitarbeitenden», sagt Jessica.
«Ohne uns funktioniert es nicht»
Während innerhalb der SOB die Wichtigkeit der Transportleitstelle selbstverständlich ist, kennen sie viele Aussenstehende nicht. Als ich Jessica frage, was man über ihre Arbeit wissen sollte, antwortet sie, ohne zu zögern. «Wir sorgen dafür, dass der Bahnverkehr reibungslos läuft. Ohne uns funktioniert es nicht.» Doch es braucht mehr als nur gute Planung, es kommt auf das Zusammenspiel an. «Die Transportleitstelle und das Zugpersonal müssen am gleichen Strang ziehen. Wir alle haben dasselbe Ziel: dass es für alle – die Fahrgäste, das Personal und den Betrieb – möglichst gut passt», erklärt Jessica. Dafür sei gegenseitiges Verständnis entscheidend.
Während Jessica erzählt, wird mir klar: Jessica ist genau da, wo sie hingehört. Sie brennt für ihren Job und erzählt mit einer Leidenschaft, die ansteckend wirkt. Eigenschaften, die sie schon ganz am Anfang unseres Treffens gezeigt hat – und die in der Transportleitstelle den Unterschied machen.
Text: Jil Rietmann
Bilder: Hanspeter Schenk, Daniel Ammann