Für jeden Zug gilt ein Fahrplan und dafür hat er ein reserviertes Zeitfenster. Der erste Alpenrhein-Express rollt genau zum vorgegebenen Zeitpunkt am 15. Dezember 2024 um 5.42 Uhr das erste Mal von Chur Richtung St. Gallen. Was ist in den Jahren und Monaten davor passiert?
«Ich arbeite an der Zukunft», sagt Marco Mayer von der Angebotsplanung der SOB. Während im St.Galler Rheintal im Herbst 2022 die ersten Bagger aufgefahren sind, war für Marco das Angebot in dieser Region ab Fahrplan 2025 bereits ein zentrales Thema. Die Spezialistinnen und Spezialisten der Angebots- und Transportplanung sind die Insider der SOB.
Entwicklung eines Angebots
In Gremien wurden sowohl Gespräche geführt als auch Lösungen gesucht, auf politischer Ebene wurde debattiert und verhandelt, die Infrastruktur ausgebaut und in den Büros wurden Ideen skizziert, wie das Angebot realisiert werden könnte. Um eine neue Linie ins Rollen zu bringen, benötigt es Angebotsziele, die der zukünftigen Nachfrage entsprechen oder die Angebotsqualität auf verschiedenen Verbindungen verbessern. Weiter braucht es ausreichend verfügbare Zeitfenster auf der Infrastruktur, die nötigenfalls – wie im Rheintal – ausgebaut werden muss, passendes, allenfalls zusätzliches Rollmaterial und genügend Personal am richtigen Standort. So können Lösungen entwickelt werden, die ins gesamte Bahnsystem passen und für die öV-Nutzenden sowie die Region einen Mehrwert bringen. Die Abteilung Marktentwicklung begann schon Jahre vor der Inbetriebnahme der neuen Linie, ein Angebotskonzept zu entwerfen. Dem Alpenrhein-Express diente ein Verkehrsmodell der SBB als Grundlage zur Bestimmung der erforderlichen Sitzplatzkapazitäten. Auch die SOB liefert regelmässig Daten für dieses Modell, damit es eine möglichst verlässliche Grundlage bieten kann. Das Modell bildet den gesamten Bahnverkehr und somit die zu erwartende zukünftige Nachfrage ab. «Durch die bestmöglichen verfügbaren Daten versuchen wir, die Realität der Zukunft abzubilden und so die richtigen Schlüsse zu ziehen», resümiert Marco Mayer, Angebotsplaner bei der SOB. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen innerhalb der Südostbahn sowie in Absprache mit verschiedenen Partnern formte sich so ein Konzept, das immer konkreter wurde. «Die Mitarbeitenden der Transportplanung rechneten im Voraus aus, wie viele Fahrzeuge und wie viel Personal für den Betrieb des Alpenrhein-Express nötig sind», fasst Philipp Nägeli, Leiter Transportplanung, zusammen. Das kann zwischen einem und zehn Jahren vor der Einführung des Angebots sein. Die Transportplanerinnen und Transportplaner zeichneten Dienstpläne mit potenziellen Fahrzeugumläufen und Lokpersonaltouren. Seitens Angebotsplanung der SOB wurde die Machbarkeit des Betriebs mit Traverso-Fahrzeugen mit den Verantwortlichen der SBB Infrastruktur geprüft. Als Grundlage für das konkrete Angebotskonzept, das ab Dezember 2024 von der SOB umgesetzt wird, diente der Bundesbeschluss über den Ausbauschritt 2025 der Eisenbahninfrastruktur. Auf den Bahnausbauschritten basieren die Netznutzungskonzepte und Netznutzungspläne, die die Fahrrechte – also Trassen – für den Personen- und den Güterverkehr sichern. Diese legen für sämtliche Abschnitte des Schienennetzes die mindestens zur Verfügung stehende Kapazität an Trassen zur Nutzung für eine Musterstunde fest. Also eine repräsentative Stunde, die als Modell für den Fahrplan einer bestimmten Strecke dient. Die Netznutzungspläne sind Grundlage für die Trassenvergabe.
Trassenbestellung – es wird konkreter
Für die präzise Fahrplankonstruktion arbeitet die Südostbahn mit dem Trassensystem NeTS der SBB. Im Rahmen der Kooperation ist festgelegt, dass die SOB die Trassen für ihre Fernverkehrslinien bestellt. Mit diesem Instrument arbeitet zum Beispiel auch Frank Mischler, Fachspezialist Transportplanung der SOB. Er erstellt damit eine provisorische Trassenbestellung und hat Termine und Fristen, vorgegeben durch das BAV, einzuhalten. Das betrifft auch die öffentliche Kommunikation des Fahrplanentwurfs im Frühling. Frank gleicht bei der provisorischen Trassenbestellung grob gesagt das ursprüngliche Konzept der Angebotsplanung mit den ihm vorliegenden Daten ab, ergänzt diese mit den voraussichtlich eingesetzten Fahrzeugtypen und Kompositionen, kontrolliert die Verkehrszeiten, Haltepunkte usw. – so prüft er jede Trasse. «Hier spielt es keine Rolle, ob eine neue Linie eingeführt wird oder bestehende Linien neu bestellt werden», erklärt Frank. Die Trassenvergabe ist ein alljährlicher offizieller Akt, auch wenn ein bestehendes Angebot unverändert weitergeführt wird. Der Zweck ist ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schienennetz, sodass alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) zu gleichwertigen Bedingungen diesen Zugang erhalten. Bei den vielen Bestellungen durch die verschiedenen Infrastrukturbetreiberinnen und -betreiber sind Trassenkonflikte unvermeidlich. Die Trassenvergabestelle (TVS) erstellt eine Liste mit Konflikten, die anschliessend zwischen den EVU und der TVS gelöst werden müssen. Änderungen werden wieder im System eingepflegt, bis es Mitte August zur definitiven Trassenzuteilung kommt. Zu diesem Zeitpunkt sind die effektiv für jeden Zug eingesetzten Kompositionen und Fahrzeugtypen aufgrund der fortgeschrittenen Produktionsplanung bekannt und werden mit der definitiven Trassenbestellung fixiert.
Bestellung von Zusatzleistungen
Vergleichbar ist der Prozess mit der Bestellung von Zusatzleistungen: Hier bestellt ein EVU eine gewisse Anzahl an Metern Gleis an einem Bahnhof. Als Beispiel: Der Alpenrhein-Express wird betrieblich bedingt als S 81 nach Herisau durchgebunden. Wäre dem nicht so, müsste die Südostbahn die Möglichkeit haben, einen Traverso – also 150 Meter – für 50 Minuten am Bahnhof St. Gallen auf einem Gleis abzustellen. Sobald die provisorischen Trassenbestellungen im System erfasst sind, werden den Knotenplanern durch alle EVU die provisorischen Fahrzeugumläufe zugesendet. Die Knotenplaner beurteilen die möglichen Kapazitäten – also wie viele Züge zu welchem Zeitpunkt im Bahnhof abgestellt werden können. Auch diese Zusatzleistungen für Abstellungen an Bahnhöfen teilt die TVS zu.
Die Dienstplanplanung
Die Fahrzeugeinsätze werden basierend auf der Trassenbestellung und den Rahmenbedingungen möglichst wirtschaftlich verplant. In der Jahres- und unterjährigen Dienstplanplanung legt die Transportplanung in Absprache mit der Instandhaltung auch den Unterhalt der Fahrzeuge sowie die Füllung und Leerung von Wassertanks für die Toiletten fest. Auch die Züge brauchen ihre «Regenerationspausen». Die Dienstplanplanung der Fahrzeuge bildet die Grundlage für die Verplanung des Fahrpersonals.Welche Person schliesslich im Führerstand sitzt und welches Fahrzeug den ersten Einsatz fährt, das bestimmt die Transportleitstelle in der operativen Planung. Sie kommt etwa einen Monat vor der Erstfahrt ins Spiel und weist dem Dienstplan das benötigte Lokpersonal zu und, falls die Fahrt begleitet ist, auch die Kundenbegleiterin respektive den Kundenbegleiter.
Ein Potpourri an Themen
Offizielle und definierte Prozesse helfen, ein komplexes System in eine Ordnung zu bringen, das einem genauen Takt unterliegt. Dahinter verbergen sich diverse Absprachen und Prüfungen. «In der Erarbeitung dieses Angebotskonzepts wurde beispielsweise auch eine Durchbindung des Voralpen-Express auf den Alpenrhein-Express geprüft, wofür im eng getakteten System jedoch nicht ausreichend Zeitreserven verfügbar sind, ohne dass dies diverse negative Auswirkungen auf verschiedene andere Verbindungen im Raum St. Gallen hätte», erklärt Marco Mayer von der Angebotsplanung. Welche vielfältigen Aspekte zusammenkommen, weiss auch Nik Schrama von der Produktionssteuerung. Das dreiköpfige Team führte im Hinblick auf den Alpenrhein-Express einen Risikoworkshop durch. Insgesamt 37 Risiken wurden diesbezüglich definiert. Alle involvierten Abteilungen haben Einsicht in diesen Katalog von Risiken und arbeiten ihre Pendenzen ab. Hier geht es um Fragen wie: Hat die Instandhaltung und Reinigung genügend Slots für ihre Arbeiten? Ist genügend Personal vorhanden? Werden alle neuen Fahrzeuge rechtzeitig geliefert? Welches Lokpersonal aus welchen Depots kann welche Linien befahren? Denn nicht jeder Lokführer oder jede Lokführerin darf jede Strecke befahren, weil dafür die nötigen Streckenkenntnisse erforderlich sind. Auch in Sachen Pünktlichkeit muss sich die SOB wappnen: Das Fahrplangefüge der Fernverkehrslinie Treno Gottardo erlaubt zum Beispiel da und dort mehr Spielraum, um Verspätungen wieder aufzuholen. Im Rheintal ist hingegen der Takt sehr eng. Was passiert, wenn eine Lokführerin respektive ein Lokführer nicht die Sollgeschwindigkeit fährt? Wie wirkt sich eine Verspätung auf die Anschlüsse am Bahnhof St. Gallen aus? Für viele Eventualitäten erarbeiten die Fachleute ein Betriebskonzept, das sie bei Eintritt aus der Schublade ziehen können. Dafür finden diverse Gespräche in übergreifenden Gremien der Bahnproduktion und der Fahrplanwechselorganisationen statt, um Lösungen für das gesamte Fahrplangefüge zu finden. Die Reihe von Themen ist lang und vielfältig. «Unsere Aufgabe bei der Produktionssteuerung ist es, ganz genau hinzuschauen, alle Risiken zu erkennen und dafür passende Massnahmen abzuleiten», resümiert Nik.
Die Verbindung durchs Rheintal
Der Alpenrhein-Express bringt für Reisende im Freizeitverkehr attraktive Direktverbindungen vom Bündnerland ins Appenzellerland. Ab Fahrplanwechsel betreibt die SOB die S 81 durchgehend von Montag bis Sonntag. Das Fahrzeug des Alpenrhein-Express fährt also als S 81 weiter nach Herisau – mit Möglichkeit für einen effizienteren Personalwechsel und einfacherer Anbindung an das Service-Zentrum Herisau – und umgeht so eine Stillstandzeit von 50 Minuten am Bahnhof St. Gallen. Für die Kundschaft gilt es, sich zu merken, dass die SBB einen IR 13 von Zürich bis nach Sargans betreibt und von der SOB ein IR 13 als Alpenrhein-Express von St. Gallen bis nach Chur verkehrt. Die Liniennummern der Züge orientieren sich seit 2017 an den Bezeichnungen der Autobahnen. In diesem Fall ist es die A13. Die Namensgebung folgt auch der Haltepolitik: Beide IR 13 verfolgen zwischen St. Gallen bis Chur dieselbe Haltepolitik, weshalb man beide gleich benennt. Das fixe Bahnsystem erfordert zwar eine umfassende Planung, ist aber die Grundlage, damit die Züge zuverlässig verkehren und die Passagiere wie geplant an ihr Ziel kommen.
Halbstundentakt im Rheintal
Damit mehr Züge im St.Galler Rheintal verkehren können, brauchte es zusätzliche Doppelspurabschnitte. Das ist eines der zentralen Projekte im Bahnausbauschritt 2025 des Bundes: Ab Fahrplanwechsel betreibt die SOB den Alpenrhein-Express zwischen Chur und St. Gallen und die Züge der SBB verkehren von Sargans via Rheintal nach Zürich – beide als IR 13. So entsteht ab Dezember 2024 ein Halbstundentakt im Rheintal. Jetzt über den neuen Fahrplan informieren auf www.allpott.ch und mehr zum Alpenrhein-Express: www.alpenrhein-express.ch.
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