Die hohe Kunst der Fahrplangestaltung

| Bahnwissen

Der Fahrplan – er gibt Auskunft darüber, wann der Zug fährt, wie oft und wohin. Dahinter steckt eine mehrjährige Planung, an der der Bund, die Kantone und die Transportunternehmen mitwirken. Ziel jedes Fahrplans ist es, möglichst viele Bedürfnisse abzudecken. Keine leichte Aufgabe.

Verbindungen im öV sind nie zufällig gewählt. In den meisten Fällen sind sie Wünsche der Kantone und deren Bevölkerung. Für die Kantone ist eine gute Anbindung an das nationale und regionale Verkehrsnetz ein Vorteil, durch den sie ihre Attraktivität als Wirtschaftsstandort steigern. So bestellt zum Beispiel der Kanton St. Gallen zusammen mit dem Bund bei der SOB eine tägliche Ver­bindung frühmorgens zwischen Wattwil und der Hauptstadt, damit die Toggen­burgerinnen und Toggenburger, die in St. Gallen arbeiten, rechtzeitig im Büro sind. Die SOB ihrerseits legt aufgrund der Streckenauslastung, der Fahrzeuge (moderne Züge sind schneller) und in Zusammenarbeit mit anderen Transport­unternehmen die Abfahrts- und Ankunftszeit fest.

Unterschiedlichste Bedürfnisse

Bei der Fahrplangestaltung steht die SOB immer wieder vor der grossen Herausforderung, unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht zu werden. Es sind dies zum einen die Kundenbedürfnisse. Sie wünschen sich viele und regel­mässige Verbindungen und gut aufeinander abgestimmte Anschlüsse in den Umsteigebahnhöfen. Allerdings gibt es unter den Reisenden auch Wünsche, die sich nicht decken oder sich gar widersprechen. Zum Beispiel bei der Zeit, die für das Umsteigen benötigt wird. «Das ist ein Thema, das immer wieder zu Dis­kussionen führt», sagt Michael Sutter, Leiter der Abteilung Marktentwicklung. «Pendlerinnen und Pendler bevorzugen kürzere Umsteigezeiten, wohingegen Gelegenheitsreisende meistens froh sind, wenn die Anschlusszeiten nicht zu knapp sind und sie genug Zeit haben, sich zu orientieren.» Auch wer mit Gepäck oder Kinderwagen unterwegs oder aus anderen Gründen nicht gut zu Fuss ist, schätzt es, wenn mehr Zeit zum Umsteigen bleibt.

Den Kundenbedürfnissen stehen die Bedürfnisse der Besteller – Bund und Kantone – gegenüber. Für sie ist die Standortattraktivität ebenso Thema wie die Grunderschliessung und Wirtschaftlichkeit. Das Gesetz sieht vor, dass auch Randgebiete mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können. Je nachdem wie sich bestimmte Siedlungsgebiete entwickeln, braucht es neue Verbindungen. Und an diesem Punkt stellen sich nicht nur die Besteller die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Neue, aber auch bestehende Verbindungen kosten. Der SOB entsteht Aufwand (Personal, Fahrzeuge usw.). Diese kann sie durch die Billetterlöse alleine nicht in jedem Fall vollumfänglich decken. Die Differenz wird von den Bestellern in Form von Abgeltungen begli­chen. Die Besteller sind somit vor allem an Verbindungen mit einem möglichst ausgeglichenen Kosten-Ertrags-Verhältnis interessiert.

Blick in die Zukunft

Welche Verbindungen das sind, findet die SOB anhand von Markt- und Situationsanalysen heraus. Sie beobachtet das Jetzt und leitet daraus Zukunftsprognosen ab. Konkret be­urteilt sie die heutigen Verkehrsströme, die Verkehrsnach­frage, das Verkehrsverhalten, die Raum- und Siedlungs­bildung und wie sich die jeweilige Region demografisch, wirtschaftlich und touristisch entwickelt. Anhand der Er­gebnisse definiert sie Ziele und Eckpfeiler für die künftigen Fahrpläne. Dieser Prozess dauert mehrere Jahre. Das «Er­finden» des Fahrplankonzepts erfolgt fünf bis zehn Jahre im Voraus. Ein bis drei Jahre vor der Umsetzung des Fahr­plans legt die SOB zusammen mit den Bestellern fest, ob die Züge nur am Morgen, nur an gewissen Tagen oder sieben Tage die Woche verkehren. Mit dem Fahrplan 2024 zum Beispiel hat die SOB schon 2017 begon­nen. Die letzten Details legt sie im Herbst 2023 fest. Umgesetzt wird der Fahrplan am 10. Dezember 2023 – übrigens ein Termin (zweiter Sonntag im Dezember), der international gilt.

Steht das Konzept, geht es ans Verhandeln der Offerte. In dieser Zeit ist der Kontakt zwischen der SOB und den Vertreterinnen und Vertretern der Besteller intensiv. Aber auch vor und nach der Verhandlungsphase steht sie regel­mässig in Kontakt mit den Bestellern und beeinflusst die Entwicklung des Angebots aktiv.

Der Dominoeffekt

Was viele der Reisenden nicht wissen, ist, dass auch sie den Fahrplan beeinflussen können. Die SOB und die Besteller nehmen Kritik und Anliegen entgegen und berücksichtigen sie in der Planung des zukünftigen Fahrplanangebots. Auf diesem Weg gelangt die SOB auch immer wieder zu guten Ideen. Leider kann nicht jedem Wunsch entsprochen wer­den. «Jeder Fahrplan ist ein Kompromiss», erklärt Michael Sutter. Denn kleinste Anpassungen, gar im Sekunden- und Minutenbereich, wirken sich sofort auf den Fahrplan aus. Das hat hauptsächlich damit zu tun, dass auf dem Schwei­zer Schienennetz sehr viele Züge sehr dicht nacheinander unterwegs sind. Auf einem einspurigen Streckenabschnitt können Züge nicht kreuzen, also muss das Kreuzen in ei­nem Bahnhof erfolgen. Fährt nun der eine Zug nur eine Minute später los, muss auch die Fahr- und Wartezeit des entgegenkommenden Zugs angepasst werden. Und entsprechend die des nächstens Zugs. Und so weiter. Ein Dominoeffekt.

Jeder Fahrplan hat Schwachstellen, die wir in Kauf neh­men müssen. Die hohe Kunst der Fahrplangestaltung ist es, möglichst viele Bedürfnisse unter einen Hut zu brin­gen. Gewinner und Verlierer gibt es dabei immer. Die SOB verfolgt das Ziel, allen das Beste, statt wenigen das Optimum anzubieten.

Text: Claudine Roth, Jacqueline Keller
Bilder: Daniel Ammann

Fahrplanentwurf 2024

Vom 24. Mai 2023 bis zum 11. Juni 2023 können Sie den Fahrplanentwurf 2024 kommentieren.

Weitere Informationen dazu unter www.öv-info.ch.

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